• Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz - so können sich Betroffene wehren
    Unerwartete und unpassende Berührungen sind nur eine Form von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Foto: Colourbox

AG DiversitySexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – was Betroffene wissen müssen

Wer einen Übergriff erlebt, ist oft mit der Situation überfordert. Die AG Diversity der dbb jugend hat Antworten auf die wichtigsten Fragen zusammengestellt.

Sexuelle Belästigung ist ein unangenehmes Thema, es macht schlechte Laune. Trotzdem beschäftigen wir uns als AG Diversity damit, weil wir Diskriminierung in der Gesellschaft und der Arbeitswelt entgegenwirken möchten. Und sicher auch, weil einige von uns bereits persönliche Erfahrungen machen mussten.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die rechtliche Situation. Grundsätzlich fallen unter sexuelle Belästigung Verhaltensweisen, die einen Menschen aufgrund seines Geschlechts erniedrigen, herabwürdigen oder demütigen.

Was steht im AGG?

Wenn es um Diskriminierung geht, ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zentral, das 2006 verabschiedet wurde. Ziel des Gesetzes ist, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ (§ 1). Der Anwendungsbereich erstreckt sich ebenfalls auf das Arbeitsleben: Niemand darf beispielsweise bei der Einstellung aus den genannten Gründen benachteiligt werden (§ 2).

Die entscheidende Definition von sexueller Belästigung findet sich in § 3 AGG, Absatz 4. Dort heißt es:

„Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung (…), wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“

Laut § 7 AGG sind sämtliche Benachteiligungen verboten. Daraus ergibt sich, dass alle Regelungen, die sich auf das Verbot von Benachteiligung beziehen, auch für die sexuelle Belästigung gelten. Das Europarecht, aus dem das AGG entstanden ist, spricht im selben Sinne von Diskriminierung.

Mehr entdecken: Gender-Budgeting, Gendermedizin, Gender Pay Gap – Schlüsselbegriffe für mehr Gerechtigkeit

Die Einstufung als sexuelle Belästigung ist subjektiv. Heißt: Ausschlaggebend dafür, ob es sich im Einzelfall um sexuelle Belästigung handelt, sind das individuelle Empfinden und die individuellen Grenzen der betroffenen Person.

Was sagt das Bundesarbeitsgericht?

Das Bundesarbeitsgericht hat eine klare Definition von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz formuliert (BAG 09.06.2011 – 2 AZR 323/10). Folgendes spielt bei der Einordnung eine Rolle:

  • Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird
  • Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht
  • Für das Bewirken genügt der bloße Eintritt der Belästigung
  • Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle
  • Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an
  • Unmaßgeblich ist, wie die Person selbst ihr Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte

Wie kann sich sexuelle Belästigung äußern?

Hier einige Beispiele:

  • Anzügliche Witze
  • Hinterherpfeifen, Anstarren, taxierende Blicke
  • Pornografische Bilder am Arbeitsplatz
  • Anzügliche Bemerkungen über Figur und sexuelles Verhalten im Privatleben
  • Unerwünschte Einladungen mit eindeutiger Absicht
  • Po-Kneifen oder -Klapsen
  • Anrufe, E-Mails oder SMS mit sexuellen Anspielungen
  • Unerwartetes Berühren der Brust oder Genitalien
  • Androhung beruflicher Nachteile bei sexueller Verweigerung
  • Versprechen beruflicher Vorteile bei sexuellem Entgegenkommen
  • Aufforderung zu sexuellem Verkehr
  • Aufgedrängte Küsse
  • Zurschaustellen des Genitals
  • Erzwingen sexueller Handlungen, tätliche Bedrohung

Wo kommt sexuelle Belästigung besonders oft vor?

Macht ist der zentrale Motor der sexuellen Belästigung. Sexuelle Belästigung passiert oftmals dort, wo Menschen anderen Menschen über- beziehungsweise untergeordnet sind. Je stärker das Machtgefälle, desto wahrscheinlicher tritt sie auf. Denn es geht um die Demonstration von Macht oder auch um den Ausgleich von Machtunterschieden.

Was sind die Folgen für Betroffene?

Die Folgen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz – zum Beispiel gefühlte Ohnmacht und Entwürdigung – können zu gesundheitlichen Einschränkungen führen. Viele Betroffene leiden unter Depressionen, Weinkrämpfen, innerer Unruhe und Schlafstörungen. Sie sind mehrfach krankgeschrieben und arbeitsunfähig. Viele kündigen das Arbeitsverhältnis, nur wenige machen ihre Ansprüche auf ein belästigungsfreies Arbeitsverhältnis geltend.

Was können Betroffene tun?

Natürlich gibt es kein Patentrezept. Jede Situation ist anders, jede betroffene Person hat eine andere Art, damit umzugehen. Und häufig erwischt einen die Belästigung völlig unvorbereitet. Gegenwehr ist oft schwer.

Schlagfertigkeit ist etwas, worauf man erst 24 Stunden später kommt.

Mark Twain

Die AG Diversity meint: Stiller Rückzug ist keine Option. Belästigungen kommentarlos hinzunehmen und zu akzeptieren, bewährt sich nicht. Meist verlängert es nur den Zeitraum, in dem die sexuellen Belästigungen stattfinden oder es führt dazu, dass sie schlimmer werden.

Hilfreich ist es immer, sich Verbündete zu suchen, zum Beispiel Personen, die ebenfalls betroffen sind oder Situationen unmittelbar miterlebt haben. Gut ist auch, wenn sich die Vorfälle belegen lassen: Dazu können Gedächtnisprotokolle oder Notizen in Tagebüchern dienen.

Unterstützung bieten Beratungsstellen, unter anderem die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Was ebenfalls eine Hilfe ist: sich an die zuständige Mitgliedsgewerkschaft wenden und beraten lassen. Die Gewerkschaft kann auf Wunsch der Betroffenen ihr Netzwerk aktivieren und nach Möglichkeit auch vor Ort helfen, indem sie die zuständigen Betriebsräte oder Personalräte kontaktiert. Außerdem bietet die Gewerkschaft in der Regel einen Rechtsschutz, was ein außergerichtliches Vorgehen oder im Extremfall auch ein gerichtliches Vorgehen gegen die belästigende Person ermöglicht.

Wie bewertet die AG Diversity die aktuelle Situation?

1977 ging ein Raunen durch die Gesellschaft. Fälle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz fanden ihren Weg in die Öffentlichkeit und damit auch viele Betroffene, die ihre Geschichten erzählten, unter anderem im Magazin „Stern“. Gerichtliche Prozesse gegen die belästigenden Personen oder gar Kündigungen waren damals allerdings wenig von Erfolg gekrönt.

Mehr entdecken: Mentale Gesundheit – „Resilienz trainieren heißt, die Komfortzone zu verlassen“

Heute hat sich die rechtliche Situation durch das AGG und das Strafgesetzbuch verbessert. Aber Betroffene befinden sich nach wie vor in einer schwierigen Situation. Besonders, wenn es sich bei den belästigenden Personen um Führungskräfte handelt.

Immer mehr Arbeitgebende, Dienstherren, Personalräte und Betriebsräte wirken darauf hin, klare Regelungen für den Umgang mit Fällen von sexueller Belästigung aufzustellen. Oftmals gibt es schon entsprechende Betriebs- beziehungsweise Dienstvereinbarungen. Diese sind vielen betroffenen Beschäftigten aber nicht immer bekannt – es ist wichtig, hier stärker in die Kommunikation zu gehen.

Text: Jessica Mathieu