• Matthäus Fandrejewski, Vorsitzender der dbb jugend, will einige Thesen von EU-Gegnern so nicht stehenlassen. Foto: Vanessa Wunsch/Colourbox

Europawahl 2024Zu kurz gegriffen: Fünf Irrtümer über die Europäische Union

Im Wahlkampf bringen Gegner der europäischen Einigung ihre Argumente in Stellung. Matthäus Fandrejewski, Vorsitzender der dbb jugend, widerspricht ihren vehement.

Übersicht:

Irrtum 1: „Die EU ist ein Bürokratiemonster“

Irrtum 2: „Die EU ist ein politisches Abstellgleis“

Irrtum 3: „Deutschland ist bloß der Zahlmeister der EU“

Irrtum 4: „Die EU ist undemokratisch“

Irrtum 5: „Deutschland ist ohne die EU besser dran“

 

Irrtum 1: „Die EU ist ein Bürokratiemonster“

Sinnbild für den vermeintlichen Regulierungswahn der Europäischen Union ist immer noch die Gurkenverordnung, die schon lange nicht mehr in Kraft ist. Sie legte genau fest, welche Krümmung Gurken mit einer bestimmten Länge haben durften. „Natürlich gibt es Beispiele dafür, wo die EU über das Ziel hinausgeschossen ist“, sagt Fandrejewski. Aber letztlich funktioniere ein gemeinsamer Binnenmarkt nur, wenn es gemeinsame Standards und Richtlinien gibt. Diese legt die EU allerdings nicht willkürlich fest. Vielmehr gehen sie auf Initiativen von Mitgliedstaaten und Interessenvertretungen zurück. „Es ist also verfehlt, von einem abstrakten Monster zu sprechen. Wir haben es selbst in der Hand.“

Grundsätzlich ist Bürokratieabbau für Fandrejewski ein zentrales Gebot der Stunde. „Wir brauchen so viel Bürokratie wie nötig, aber so wenig wie möglich.“ Dabei dürfe man nicht vergessen: Was genau die richtige Dosis ist, liegt immer im Auge des Betrachters – dies sei eine Schwierigkeit, die sich nie endgültig auflösen lässt.

„Wichtig ist, dass die Politik immer auch die Lebenswirklichkeit der Menschen im Blick hat“, unterstreicht Fandrejewski und verweist auf folgendes Beispiel: Ab Dezember 2024 müssen zahlreiche Elektrogeräte, die neu auf den deutschen Markt kommen, über einen USB-C-Ladeanschluss verfügen, darunter Smartphones, Tablets und Drucker. Das ist das Ergebnis einer EU-Richtlinie. „Endlich ist die Zeit vorbei, in der man für jedes Gerät ein Ladekabel herumliegen hat. Das ist im Sinne des Verbraucherschutzes und spart wertvolle Ressourcen ein.“

Irrtum 2: „Die EU ist ein politisches Abstellgleis“

„Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“ – dieser Spruch ist inhaltlich längst überholt. „Welche Bedeutung Europa hat, zeigt sich alleine daran, dass die Parteien politische Schwergewichte ins Rennen schicken“, betont Fandrejewski. SPD-Spitzenkandidatin ist etwa Katarina Barley, FDP-Spitzenkandidatin die Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Zahlreiche entscheidende Fragen, die unsere Zukunft betreffen, werden auf europäischer Ebene entschieden. Da kann von einem politischen Abstellgleis keine Rede sein.“

Irrtum 3: „Deutschland ist bloß der Zahlmeister der EU“

Was stimmt: Deutschland zahlt mehr in den EU-Haushalt ein als es bekommt und ist sogar der größte Netto-Zahler. Laut Bundeszentrale für politische Bildung lag der negative Haushaltssaldo 2022 bei 19,7 Milliarden Euro.

Doch der Vorsitzende der dbb jugend warnt ausdrücklich davor, nur auf die Haushaltszahlen zu schauen. Denn sie sagen nichts darüber aus, ob ein Land unter dem Strich profitiert. „Unstrittig ist, dass der Wohlstand in Deutschland durch den europäischen Binnenmarkt gewachsen ist.“ 2023 etwa hat Deutschland insgesamt Güter im Wert von 1562,1 Milliarden Euro exportiert. Davon entfielen 54,2 Prozent in andere EU-Staaten. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor.

Irrtum 4: „Die EU ist undemokratisch“

Es gibt Stimmen, die beklagen, dass das Europäische Parlament kein Initiativrecht hat. Das bedeutet, dass es selbstständig keine Gesetze einbringen und zur Abstimmung vorlegen kann. Dieses Recht hat ausschließlich die Kommission. „Über das fehlende Initiativrecht kann man streiten, aber die EU ist weit davon entfernt, undemokratisch zu sein“, sagt Matthäus Fandrejewski. Schließlich kommt ohne die Zustimmung des Parlaments und des Ministerrats kein Gesetz zustande. „Wenn etwas nicht passt, muss die Kommission eben einen neuen Entwurf vorlegen, mit dem die Mehrheit einverstanden ist.“

Alle Gremien sind demokratisch legitimiert.

Matthäus Fandrejewski, Vorsitzender der dbb jugend

Das Parlament wird direkt von den Bürgerinnen und Bürgern in den EU-Mitgliedstaaten gewählt. Der Ministerrat und der Europäische Rat indirekt – denn hier sitzen Mitglieder aus den nationalen Regierungen. Und den Kommissionspräsidenten wählt das Parlament.

Fandrejewski resümiert: „Alle Gremien sind demokratisch legitimiert.“ Zudem steht allen EU-Bürgerinnen und Bürgern das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative offen, mit der sie bewirken können, dass sich die Kommission mit einem Thema befasst. Voraussetzung hierfür sind eine Million Unterstützungsbekundungen innerhalb eines Jahres in sieben Mitgliedstaaten.

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Nicht zuletzt verweist der Vorsitzende der dbb jugend darauf, dass sämtliche Prozesse in der Gesetzgebung im Internet einsehbar sind. Es sei allerdings von großer Bedeutung, dass sie für alle verständlich aufbereitet sind – „da könnten die Verantwortlichen tatsächlich noch etwas nachbessern, um echte Transparenz herzustellen.“

Irrtum 5: „Deutschland ist ohne die EU besser dran“

„Das ist schlicht falsch, Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten wirtschaftlich enorm vom europäischen Binnenmarkt und dem Euro profitiert“, unterstreicht Fandrejewski, für den aber vor allem zwei weitere Aspekte von großer Bedeutung sind: „Zum einen leben wir in einer globalisierten Welt, in der die politischen Fragen unserer Zeit Grenzen überschreiten. Also brauchen wir auch grenzüberschreitende Zusammenarbeit.“ Kein europäischer Staat könne beispielsweise alleine Klimawandel und Kriminalität nachhaltig bekämpfen, auch in der Migrationspolitik sei eine gemeinsame Politik gefragt.

„Und zum anderen sind wir in Europa nur stark, wenn wir unsere Werte und Interessen verteidigen. Das ist angesichts des Ukrainekriegs wichtiger denn je. 27 Staaten haben auf der politischen Weltbühne mehr Gewicht als einer!“

Text: Christoph Dierking