• Der Klimawandel stellt Feuerwehren und Rettungskräfte vor neue Herausforderungen: Das BBK beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie sich Ausrüstung und Fähigkeiten für klimabedingte Einsatzlagen optimieren lassen.
    Der Klimawandel stellt Feuerwehren und Rettungskräfte vor neue Herausforderungen: Das BBK beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie sich Ausrüstung und Fähigkeiten für klimabedingte Einsatzlagen optimieren lassen. Foto: Unsplash/Matt C

Bevölkerungsschutz und KatastrophenhilfeWie sich der Staat auf die Krisen der Gegenwart einstellt

Klimawandel und Kriegsgefahr: Angesichts aktueller Krisenszenarien sind nicht nur Behörden, sondern auch die Bevölkerung gefordert.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001, das Elbehochwasser im Jahr 2002 – unter anderem diese Ereignisse veranlassten die Bundesregierung unter Gerhard Schröder, den Zivilschutz und die Unterstützung der Bundesländer im Krisenfall neu zu organisieren. Das Ergebnis: 2004 nahm das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) seine Arbeit auf. Der Hauptsitz der Behörde, die dem Bundesinnenministerium untersteht, befindet sich in Bonn.

Jürgen Strauß arbeitet von Anfang an für das BBK. Als Referent für Krisenmanagement verantwortet er, dass die interne Organisation im Ernstfall funktioniert. Heißt: Dass die Behörde in der Lage ist, einen Krisenstab einzuberufen, und ausreichend Personal sowie Ausstattung zur Verfügung stehen.

Außerdem beschäftigt er sich mit konzeptionellen Fragen: Wie lassen sich Länder, Landkreise und kreisfreie Städte, die für den Katastrophenschutz vor Ort zuständig sind, bestmöglich unterstützen, wenn sie Hilfe anfordern? Und wie lässt sich der Schutz der Bevölkerung verbessern, für den im Verteidigungsfall der Bund verantwortlich ist?

#staatklar hat mit Strauß über die Herausforderungen gesprochen, die aus den Krisen der Gegenwart resultieren.

Bereit für den Ideencampus 2023?

Jürgen Strauß ist Speaker auf dem Ideencampus der dbb jugend am Donnerstag, 19. Oktober 2023. Im Fokus steht dieses Jahr die Frage: „Generation Krise – staatklar für die Zukunft?“ Weitere Informationen gibt es auf der Website der dbb jugend, die Anmeldung erfolgt online.

#staatklar: Herr Strauß, am 14. September hat der vierte bundesweite Warntag stattgefunden. Aktuell sammelt Ihre Behörde die Rückmeldungen aus den Ländern, Kreisen und kreisfreien Städten, auch Erfahrungsberichte der Bevölkerung fließen in die endgültige Auswertung ein. Ist schon eine erste Tendenz erkennbar?

Jürgen Strauß: Unsere internen Abläufe im Haus haben funktioniert, so viel kann ich bereits sagen. Die Vielfalt der Warnmittel wurde ausgelöst. Wir stellen fest, dass die Abläufe dieses Jahr routinierter geworden sind, und das ist eine erfreuliche Entwicklung. Die endgültige Auswertung, wie viel Prozent der Bevölkerung diesmal erreicht wurden, müssen wir noch abwarten.

Was erhoffen Sie sich von den Erfahrungsberichten der Bevölkerung?

Im Prinzip geht es darum, weitere Erkenntnisse zu sammeln: Was hat gut funktioniert? Und wo müssen wir noch besser werden? Wenn zum Beispiel mehrere Menschen, die an einem bestimmten Ort waren, keine Warnung bekommen haben, können wir dem gezielt nachgehen und die Ursachen ermitteln. Möglicherweise stellt sich dann heraus, dass wir in dem betroffenen Gebiet weitere Warnmittel brauchen. Insofern sind die Erfahrungsberichte für uns eine wertvolle Unterstützung. Für den Warntag im vergangenen Jahr haben wir über 800.000 Rückmeldungen bekommen.

Cell Broadcasting, also das Versenden von Warnungen an alle Handys innerhalb einer Funkzelle, außerdem Apps und Sirenen: Warnmittel gibt es viele. Was eignet sich für welche Szenarien?

Ganz grundsätzlich ist der Warnmittelmix entscheidend: Je mehr Kanäle wir bedienen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass viele Menschen etwas mitbekommen. Und wenn ein Warnmittel ausfällt, steht eben ein anderes zur Verfügung. Redundanz ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung. Aktuell sind wir dabei, den Warnmittelmix weiter auszubauen. Unser Ziel ist es, so viele wie möglich zu erreichen.

Ferner haben die Warnmittel unterschiedliche Funktionen: Sirenen weisen darauf hin, dass etwas passiert, und veranlassen die Bevölkerung, sich genauer zu informieren. Ins Netz zu gehen, den Fernseher oder das Radio anzuschalten. Sie sind – wie auch Cell Broadcasting – sozusagen der Weckruf. Konkrete Anweisungen und Verhaltenstipps lassen sich über Sirenen allerdings nur eingeschränkt transportieren. An dieser Stelle kommen die Apps ins Spiel.

Das BBK rät dazu, ein batteriebetriebenes Radio beziehungsweise ein Kurbelradio im Haus zu haben. Was ist der Hintergrund?

Das Radio ist bei jungen Menschen möglicherweise nicht mehr so präsent, aber trotzdem ein Warnmittel, das nach wie vor funktioniert – und gegenüber Mobilfunk sogar einen Vorteil hat: Radiosender sind besonders abgesichert und können eine gewisse Zeit per Notstrom weitersenden. Wenn ein Mobilfunkmast umknickt, etwa wegen eines Unwetters, bricht die Kommunikation direkt ab und wir erreichen niemanden mehr. Das ist 2021 bei der Flut im Ahrtal passiert.

Bei der Ahrtalflut war der betroffene Landkreis, der für die Katastrophenhilfe zuständig war, mit der Situation überfordert. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

Klar ist: Das System, wie es derzeit besteht, ist gut und hat sich bewährt. Wir sprechen von einem integrierten System, in dem die Dinge von unten nach oben aufwachsen können. Heißt: Im Katastrophenfall sind zunächst die Landkreise und kreisfreien Städte zuständig, was richtig und sinnvoll ist, weil die Behörden vor Ort die Gegebenheiten kennen. Sie wissen, welche Einsatzkräfte und Ressourcen zur Verfügung stehen, um die Krise bewältigen. Wäre direkt eine höhere Instanz zuständig, müsste sich diese erst einmal ein Bild machen, bevor sie agieren könnte. Das würde wertvolle Zeit kosten. Im Ahrtal war eines der Probleme, dass die zuständige Kreisverwaltung selbst von der Flut betroffen und nur noch eingeschränkt handlungsfähig war.

Deshalb hat die nächsthöhere Instanz die Verantwortung übernommen.

Genau, im Ahrtal übernahm das Land Rheinland-Pfalz, konkret die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier, die Koordination der Katastrophenbewältigung. So gesehen hat das System funktioniert. Bei überregionalen Lagen kann das Land das Katastrophenmanagement direkt an sich ziehen und unter anderem einen Landeskrisenstab einrichten.

Abhängig von Bundesland und Lage besteht aber auch die Möglichkeit, dass zunächst Mittelbehörden, etwa Regierungspräsidien, tätig werden. Auf der Grundlage von Artikel 35 des Grundgesetzes hilft der Bund auf Anforderung eines oder mehrerer Länder. Dann werden gegebenenfalls Bundeswehr, Bundespolizei und das Technische Hilfswerk (THW) tätig, auch wir vom BBK, indem wir im Ressourcen- und Lage-Management unterstützen.

Wo lässt sich das System aus Ihrer Sicht noch verbessern?

Wir haben im BBK wie viele andere während der vergangenen drei Jahre festgestellt, dass wir bei der übergreifenden Koordinierung und Kommunikation nachbessern müssen. Insbesondere, wenn es um länderübergreifende Katastrophenlagen geht. Krisen halten sich ja nicht an Länder- und Zuständigkeitsgrenzen. Das sehen aber nicht nur wir im BBK so, sondern auch die Verantwortlichen in den Ländern. Deshalb hat die Innenministerkonferenz im Sommer 2022 mit dem Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz eine neue Plattform geschaffen. Sie soll den Weg ebnen, dass Absprachen in künftigen Krisen schneller gehen und besser gelingen. Im Idealfall wären bestimmte Abläufe schon vorgedacht und abgestimmt.

Naturkatastrophen rücken infolge des Klimawandels stärker in den Fokus, die Intensität und Häufigkeit von Unwetterereignissen nimmt zu. Wie stellen Sie sich darauf ein?

Wir stehen mit Feuerwehren und Organisationen, die für die Rettung zuständig sind, im engen Austausch. Eine Frage ist beispielsweise, wie wir Fähigkeiten und Ausrüstung für klimabedingte Einsatzlagen optimieren können. Bei uns im Haus gibt es bereits eine Stelle, die sich konkret mit den Folgen des Klimawandels für den Bevölkerungsschutz befasst. Außerdem bildet das BBK eine Schnittstelle zu Copernicus, das ist das europäische Erdbeobachtungssystem. Im Katastrophenfall können wir Satellitenbilder anfordern und so zur Lageaufklärung beitragen.

Der Ukrainekrieg ist eine weitere Krise unserer Zeit, der Konflikt tobt mitten in Europa. Ist Deutschland im Hinblick auf den Zivilschutz gut aufgestellt?

Im BBK halten wir das integrierte Hilfeleistungssystem von Bund, Ländern und Kommunen grundsätzlich für gut aufgestellt und sehr leistungsfähig. Damit konnten wir in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger bei Krisen und Katastrophen gewährleisten. Die Pandemie, Naturkatastrophen durch Klimafolgen wie die Flut im Sommer 2021 oder auch Waldbrände und die veränderte sicherheitspolitische Lage in Europa haben das Schutz- und Sicherheitsbedürfnis der Menschen allerdings deutlich erhöht und verändert. Deshalb ist der Bevölkerungsschutz neu ausgerichtet worden, um Deutschland in seiner föderalen Struktur krisenfester und resilienter aufzustellen.

Wir haben in den vergangenen drei Jahren viel in den Bevölkerungsschutz investiert, vor allem in den Bereichen Warnung, Ausstattung und Trinkwassernotversorgung. Und an dieser Stelle würde ich gern unseren Präsidenten zitieren, wonach wir in Zukunft aber unsere Investitionen erhöhen müssen, um den wachsenden Anforderungen an einen effizienten Bevölkerungsschutz Rechnung tragen zu können.

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Klimakrise und Kriegsgefahr – wie geht die Bevölkerung damit um? Wozu raten Sie?

Wir nehmen im BBK durchaus wahr, dass sich die Menschen mehr Gedanken über Gefahren und Krisen machen und sehen das auch in Umfrageergebnissen. Wir raten zu individueller Vorsorge. Dazu gehört unter anderem, pro Haushalt einen Lebensmittel- und Getränkevorrat für einige Tage anzulegen.

Alle sollten überlegen, wie sie das im Rahmen ihrer Möglichkeiten umsetzen können. Wer zu wenig Platz für Vorräte hat, könnte sich beispielsweise mit seinen Nachbarn zusammentun. Denn es gibt viele Szenarien, bei denen eine gewisse Vorratshaltung sinnvoll ist: Extremwetterlagen können dazu führen, dass Einkaufen vorübergehend nicht möglich ist, ebenso Stromausfälle. Oder denken wir an die Corona-Quarantäne. Hamstern ist damit aber nicht gemeint. Das BBK gibt viele Tipps, wie eine faire und gute persönliche Vorsorge gelingen kann. Und die Bereitschaft, das zu nutzen, steigt in der Bevölkerung.

Interview: Christoph Dierking