Debatte nach SilvesternachtWer schützt die Rettungskräfte?
Fassungslosigkeit nach den Attacken auf Einsatzkräfte: Bloßes Verurteilen der Taten reicht nicht, unterstreicht die dbb jugend nrw und fordert konkrete Maßnahmen.
„Schreckschusspistole ins Gesicht gehalten“
„Bierkiste und Feuerlöscher auf Fahrzeuge geworfen“
„Gezielter Beschuss mit Pyrotechnik“
Dies sind Beispiele für Notizen, die in Einsatzprotokollen der Berliner Feuerwehr vermerkt sind. In der Silvesternacht sahen sich die Rettungskräfte mit Vermummten, die Einsatzfahrzeuge plünderten und beschädigten, und brennenden Barrikaden konfrontiert. Ähnliche Szenen spielten sich in Nordrhein-Westfalen ab: In Bochum etwa kesselten rund 300 Personen Polizistinnen und Polizisten ein und bewarfen sie mit Feuerwerk. Insgesamt mussten sich viele Einsatzkräfte nach Attacken stationär behandeln lassen.
„Aggressivität hat eine neue Dimension erreicht“
Nüchtern betrachtet machen diese Ereignisse nicht nur die Betroffenen fassungslos, sondern auch die meisten Bürgerinnen und Bürger, ganze Berufsgruppen, Gewerkschaften sowie die Politik. „Die Aggressivität hat eine neue Dimension erreicht“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU).
Es habe zwar schon immer Auseinandersetzungen bei Großereignissen gegeben, betonte Reul. Aber dass Menschen Silvesterfeuerwerk als Waffe einsetzen und billigend in Kauf nehmen, dass andere Menschen gesundheitliche Schäden davontragen, sei dramatisch.
„Auch, wenn einzelne Personen diese Taten anzetteln und dann oftmals ganze Gruppen sie aufnehmen, sind sie Zeichen eines gesellschaftlichen Problems“, kommentiert Judith Butschkau, stellvertretende Vorsitzende der dbb jugend nrw. Übergriffe wie in der Silvesternacht würden zwar einzelne Personen treffen, richten sich jedoch in der Regel nicht gegen sie, sondern symbolisch gegen den Staat.
Experte: Alkohol spielt eine Rolle
Offenbar habe sich ein gewisser Ritus entwickelt – „eine Art Sport gegen staatliche Vertreter“, erklärt Ulrich Wagner, Sozialpsychologe an der Uni Marburg, Medienberichten zufolge. Abhängig von der allgemeinen Situation könne sich unter Alkoholeinfluss eine Stimmung zwischen Heiterkeit und Aggression in einer Mischung aus „Attacke und Scherz“ entladen – die Silvester unter anderem gegen Rettungskräfte gerichtet war.
Schon seit mehreren Jahren beobachtet die dbb jugend nrw die zunehmende Aggression gegen Einsatzkräfte und andere Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes. Sie setzt sich dafür ein, mehr Sicherheit für die Beschäftigten zu erreichen. Ebenso wichtig sei jedoch, auch in der Öffentlichkeit ein klares Bewusstsein für das Problem zu schaffen. „Mit dem bloßen Verurteilen solcher Taten ist es nicht getan“, betont Butschkau.
Tätern drohen bis zu zehn Jahre Haft
Als wichtigen Schritt bewertet die stellvertretende Vorsitzende den politischen Vorstoß, Übergriffe auf Einsatzkräfte und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes konsequent zu sanktionieren. Bei gefährlicher Körperverletzung ist laut Gesetz ein Strafmaß von bis zu zehn Jahren Haft möglich, erklärte Ulrich Lüblinghoff, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, im WDR.
Butschkau gibt zu bedenken: „Zwar ist es ein Anliegen, solche Straftaten zeitnah zu sanktionieren, doch scheitert dies unter anderem an der personellen Ausstattung von Polizei und Justiz. Es herrscht Fachkräftemangel.“
Mehr Berührungspunkte schaffen
Die junge Gewerkschafterin fordert weiterhin: „Wir dürfen mit dem öffentlichen Diskurs nicht aufhören.“ Oft wüssten vor allem junge Menschen wenig über die Arbeit und die Schwierigkeiten bei Feuerwehr, Polizei und Rettungswesen. Aktionstage, wie sie beispielsweise Polizei und Feuerwehr in Schulen veranstalten, seien eine Möglichkeit, den Diskurs weiter voranzutreiben.
„Wir brauchen mehr Berührungspunkte, damit die Gesellschaft die Arbeit der Sicherheits- und Rettungskräfte wieder als Dienst für die Allgemeinheit wahrnimmt“, sagt Butschkau. Fernab von hohen Strafen gehe es im Kern um einen respektvollen Umgang miteinander.