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Die Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland vermittelt Kompetenzen, die im Ehrenamt gefragt sind, darunter Organisationsentwicklung, Personal- und Qualitätsmanagement sowie strategische Planung. Foto: Christoph Dierking
Akademie für Ehrenamtlichkeit DeutschlandToolbox für die Freiwilligenarbeit
Menschen gewinnen und gemeinsam etwas für die Gesellschaft bewegen – die Akademie für Ehrenamtlichkeit Deutschland mit Sitz in Berlin zeigt, wie’s geht.
Ein Dienstagmorgen, Seminar in Berlin-Friedrichshain, es geht um Moderation: Die Musik, die noch bis eben dezent im Hintergrund spielte, verstummt und Lisa Dürer ergreift das Wort. Welche Superkraft sich die Teilnehmenden wünschen, fragt sie in die Runde. Daraufhin werden Gedanken geteilt: Souveränität. Nicht den roten Faden verlieren. Gelassenheit in unvorhergesehenen Situationen bewahren. Gleichzeitig zuhören und denken können. Humor und Schlagfertigkeit. Beim Vortragen nicht erröten.
Egal, ob hauptamtlich oder ehrenamtlich – alle, die am Seminar teilnehmen, engagieren sich bei Vereinen, Stiftungen oder Nichtregierungsorganisationen. Oft sind auch Mitglieder von Gewerkschaften und Parteien dabei. Gemeinsam ist allen, dass sie in ihren Funktionen Sitzungen, Konferenzen oder Podiumsdiskussionen moderieren. Bei der Akademie für Ehrenamtlichkeit lernen sie das notwendige Handwerkszeug. Doch dies ist bei Weitem nicht die einzige Kompetenz, welche die Akademie vermittelt: Hinzu kommen Organisationsentwicklung, Personal- und Qualitätsmanagement, strategische Planung und vieles mehr, wie beispielsweise rechtliche Aspekte und Fördermittel-Akquise. Geschäftsführerin der Akademie ist Lisa Dürer.
Die „Superkräfte“, welche die Seminarteilnehmenden nennen, schreibt Dürer auf rosafarbene, rechteckige Karteikarten, die sie später auf dem Teppichboden in der Mitte des Stuhlkreises drapiert, damit alle sie sehen können.
Genau genommen sind es keine Superkräfte, sondern Kompetenzen, die sich erlernen lassen. „Wir arbeiten daran, dass Ihr Euren Zielen näherkommt“, sagt die 39-Jährige, die eine längsgestreifte Bluse und ein Halstuch trägt. Ehrenamtlichkeit hat die studierte Pädagogin und Betriebswirtin seit jeher begleitet: In der Kindheit engagierte sie sich bei den Pfadfindern, in der Jugend beim Jugendring und als Erwachsene leitete sie unter anderem Projekte, bei denen Inklusion und freiwilliges Engagement von Geflüchteten im Fokus standen. Als Trainerin gibt sie nun in der Akademie ihre Erfahrungen weiter, gemeinsam mit einem Team, das aus mehr als 20 Mitarbeitenden besteht.
Mit Visualisierung überzeugen
Überall im Seminarraum stehen Flipcharts – in dieser Einheit dreht sich alles um Visualisierung, die bei Vorträgen und Moderationen eine entscheidende Rolle spielt. „Mit ihrer Hilfe lassen sich Inhalte strukturieren und ansprechend aufbereiten“, erklärt Dürer. „Und auch für alle, die vorn stehen und präsentieren, sind Visualisierungen eine strukturierende Stütze.“ Allerdings erfordert es ein wenig Übung, gleichzeitig zu sprechen und ein Flipchart zu gestalten. Überall lauern Tücken: Mal passen Wörter nicht in die zuvor gezeichneten Textboxen. Mal sehen Sprechblasen und Strichmännchen etwas unförmig aus. Und manchmal transportiert eine unglückliche Farbwahl unerwünschte Botschaften.
Die Tücken lassen sich mit simplen Kniffen vermeiden, berichtet die Trainerin. Wer erst das Wort schreibt und dann die Textbox drumherum zeichnet, umgeht das Platzproblem. Sprechblasen gelingen einfacher, wenn erst der Pfeil und dann die Blase gezeichnet wird. Und was die Darstellung von Figuren betrifft: Ein umgedrehtes „U“ als Körper, darüber ein „O“ als Kopf – das lässt sich auch in Stresssituationen unkompliziert umsetzen.
Insgesamt gilt die Faustregel: „Weniger ist mehr. Das Flipchart muss am Ende nicht nach Picasso oder Weltliteratur aussehen.“ Dann sind die Teilnehmenden an der Reihe, sich am Flipchart auszuprobieren. Flipchartmarker in verschiedenen Farben liegen bereit. Kurze Farbenlehre: Blau transportiert Sachlichkeit und eignet sich deshalb für Überschriften. Rot ist die Farbe der Emotionen und dient dazu, wichtige Informationen zu betonen. Und gelb ist wegen der schlechten Lesbarkeit als Schriftfarbe ungeeignet.
Auch das Ehrenamt muss mit der Zeit gehen
Nicht nur in Berlin ist die Akademie für Ehrenamtlichkeit aktiv, die Beraterinnen und Berater sind bundesweit unterwegs – unter ihnen Susanna Hölscher, die den Bereich Strategisches Freiwilligenmanagement leitet. Dieser umfasst etwa die Begleitung von Veränderungsprozessen. „Bei den Auftraggebenden ist vom großen Verband bis zum kleinen Sportverein alles dabei“, erzählt die gebürtige Saarländerin. „Das macht meine Arbeit abwechslungsreich und spannend.“
Es gibt viele gesellschaftliche Entwicklungen, die das Ehrenamt unmittelbar betreffen. Die Pandemie hat alternative Arbeitszeitmodelle hervorgebracht – für Eltern etwa ist es gängiger geworden, sich nachmittags um die Kinder zu kümmern und dafür abends noch ein paar Stunden im Homeoffice zu arbeiten, berichtet Hölscher. „Das hat natürlich Konsequenzen für Vereinssitzungen, die traditionell abends stattfinden. Vereinsleben und Arbeitsleben prallen aufeinander.“
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Sport, Musik, Politik, außerdem soziale Projekte, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk: Die Möglichkeiten, sich ehrenamtlich einzusetzen, sind extrem vielfältig. Junge Menschen ziehen nach der Schule oft in Städte, in denen sie eine enorme Bandbreite vorfinden. Viele engagieren sich auch im Rahmen von Freiwilligenprogrammen im Ausland. „Jeder kann für sich das Beste herauspicken, da entsteht natürlich eine gewisse Konkurrenzsituation“, betont die Expertin fürs Ehrenamt.
Dabei bleibt die Ehrenamtsquote jedoch stabil. Laut aktuellen Zahlen aus dem Deutschen Freiwilligensurvey engagierten sich im Jahr 2019 – aus diesem Jahr stammt die jüngste Erhebung – bundesweit 39,7 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren freiwillig. Das entspricht 28,8 Millionen Menschen. „Man setzt sich nicht weniger ein, sondern löst sich ein Stück weit von traditionellen Strukturen.“
Als Katalysatoren fürs Ehrenamt fungieren Krisen, beispielsweise der Ukraine-Krieg. „Innerhalb von kürzester Zeit waren zahlreiche Menschen am Berliner Hauptbahnhof und haben ihre Hilfe angeboten, das war unglaublich“, erinnert sich Hölscher. Nach der Flut im Ahrtal sei die Hilfsbereitschaft ebenfalls sehr hoch gewesen. Aber wie gelingt es, die Leute langfristig am Ball zu halten? Und wie lassen sich vor allem junge Menschen für ein Ehrenamt gewinnen? Auch dies sind Fragen, mit denen sich strategisches Freiwilligenmanagement befasst.
Ein Ehrenamt muss sinnstiftend sein
Zeit ist in der Gesellschaft von heute eine knappe Ressource: Familie, Arbeit, Freunde, Hobbys, alles ist eng getaktet. „Menschen engagieren sich, wenn sie einen Mehrwert sehen, nicht zuletzt spielt auch Spaß eine große Rolle.“ Offenheit und Kommunikationsstärke seien wichtige Kompetenzen in der strategischen Planung. So lassen sich Aufgaben auf die individuelle Situation von Ehrenamtlichen abstimmen – denn im Zweifel sei es besser, wenn ein Ehrenamtlicher sein Engagement reduziert und es nicht vollständig einstellt. Um junge Menschen zu gewinnen, gelte es, digitale Kanäle in die Kommunikation einzubeziehen. Unterm Strich habe Flexibilität enorm an Bedeutung gewonnen. „Die Zeit von starren Sitzungsstrukturen und Entscheidungswegen ist vorbei“, resümiert die Beraterin.
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Zurück ins Moderationsseminar, wo dieses Credo gelebt wird: Inzwischen sind auf den Flipcharts unter deutlich hervorgehobenen Überschriften Textboxen zu sehen, manche von ihnen mit geschwungenen Linien verbunden. Bei sämtlichen Sprechblasen und mit nur einem „O“ und umgedrehten „U“ gezeichneten Figuren stimmen die Proportionen. Lisa Dürer geht von Flipchart zu Flipchart, gibt Tipps und Feedback zur Umsetzung. „Alle Teilnehmenden sollen ihre Gedanken und Fragen einbringen, sie sind immer auch Gestalter des Seminars“, sagt sie. Wie bestenfalls auch Ehrenamtliche immer Gestaltende ihres Ehrenamts sind.
Text: Christoph Dierking