Jobkompass: Die PflegerinStraftäter in ein geregeltes Leben begleiten
Ann-Kathrin arbeitet im Maßregelvollzug. Viele Menschen reagieren mit Befremden, wenn sie von ihrem Beruf erzählt – doch sie kann sich keinen besseren vorstellen.
6 Uhr am Morgen, Station 9: Der Nachtdienst geht, Ann-Kathrin kommt für den Frühdienst. Nach der Übergabe folgt die Medikamentenausgabe. Viele der Männer, die hier in Behandlung sind, nehmen Drogenersatzstoffe, etwa Polamidon oder Subutex. Dann geht’s in die Morgenrunde. Was liegt an? Fahrten zum Arzt? Therapiegespräche? Oder Gerichtstermine?
Wenn diese Fragen geklärt sind, starten die Patienten individuell in den Tag. Das Wichtigste dabei: eine Tagesstruktur. Beliebig ein und ausgehen dürfen sie nicht. Das Klinikgelände ist abgeriegelt, es gelten strenge Sicherheitsvorkehrungen.
Ann-Kathrin Stopp ist Pflegerin im Maßregelvollzug im niedersächsischen Moringen. Wer hier untergebracht ist, hat Straftaten begangen – das allerdings im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit. Aufgabe der Einrichtung ist es, die Gesellschaft vor Straftäter*innen zu schützen und ihnen ein Weg in ein geregeltes Leben zu ebnen. „Wer bei uns in Therapie ist, ist schwer krank“, erklärt Ann-Kathrin, die auf einer Station für suchtkranke Männer arbeitet. Welche Straftaten sie begangen haben, steht für die 26-Jährige nicht im Vordergrund. „Mir ist es wichtig, den Patienten ohne Vorurteile zu begegnen. Alles andere stört die Beziehungsarbeit.“
Zeit, um auf Patienten einzugehen
Nach dem Abitur studiert Ann-Kathrin zunächst Politik und Chemie auf Lehramt. Doch nach zwei Semestern stellt sie fest, dass sie lieber unmittelbar in die praktische Arbeit mit Menschen wechseln möchte – und bricht ab. Daraufhin beginnt sie 2017 in Moringen die dreijährige Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. Das Land Niedersachsen betreibt als Träger eine eigene Berufsfachschule Pflege auf dem Gelände des Maßregelvollzugs. „Während der Ausbildung hatte ich auch diverse Einsätze in unterschiedlichen Fachbereichen“, erzählt Ann-Kathrin. „Dort bleibt allerdings der wertschätzende Kontakt mit den Patienten oft auf der Strecke, das hat mich total gestört. Im Maßregelvollzug ist das anders.“
Ich erkläre, dass es im Maßregelvollzug nicht um Verwahrung, sondern um Therapie geht.
Ann-Kathrin Stopps Antwort auf negative Kommentare
Ihr Interesse für Psychologie, die für sie wichtige Gewissheit, auf die Menschen eingehen und deshalb mit einem guten Gefühl nach Hause gehen zu können – diese Faktoren tragen dazu bei, dass Ann-Kathrin nach der Ausbildung im Maßregelvollzug bleibt. Inzwischen gibt sie ihr Wissen als Praxisanleiterin an zukünftige Fachkräfte weiter und studiert nebenbei Pflegepädagogik, um später auch auf der theoretischen Ebene auszubilden.
Im Beruf sind kommunikative und organisatorische Fähigkeiten gefragt, darüber hinaus Empathie, eine gute Beobachtungsgabe und Geduld. Rückfälle bei den Patienten gehören dazu. „Wenn alles in Ordnung wäre, wären sie ja nicht bei uns“, sagt die Pflegerin. Viele müssen lernen, wie ein Leben ohne Drogen und Sucht funktioniert. Das passiert Schritt für Schritt, unter anderem in verschiedenen Kreativprojekten. Außerdem besteht im Maßregelvollzug die Möglichkeit, sämtliche Schulabschlüsse nachzuholen.
Es geht um Therapie, nicht um Verwahrung
Wenn Ann-Kathrin über ihre Arbeit spricht, ist sie oft mit negativen Kommentaren konfrontiert. Viele fragen sich, warum „diese Menschen“ überhaupt noch einen Fuß in die Freiheit setzen dürfen. Wie sie mit Straftätern arbeiten könne. Ob es denn nicht gefährlich sei.
Was sie in solchen Situationen entgegnet? „Ich erkläre, dass es im Maßregelvollzug nicht um Verwahrung, sondern um Therapie geht“, sagt Ann-Kathrin. Die Patienten seien schließlich dort, weil sie eine Straftat im nicht schuldfähigen Zustand begangen haben. Und natürlich gehe es im Job nicht ohne Vorsicht, gesunden Respekt und Sicherheitsvorkehrungen. „Es ist ein langer Prozess, bis jemand entlassen wird, mit schrittweisen Lockerungen und Erprobungen. Wer noch nicht so weit ist, kommt nicht raus.“
Mehr entdecken: TVöD, TV-L, TV-H – was Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst wissen müssen
Manchmal melden sich ehemalige Patienten auf der Station, die es geschafft haben, sich nach ihrer Entlassung ein neues Leben aufzubauen. „Viele wollen wissen, wie es uns geht, und berichten, dass sie einen neuen Job oder eine Wohnung gefunden haben“, erzählt Ann-Kathrin. „Das ist eine schöne Bestätigung, weil es zeigt, dass unsere Arbeit Früchte trägt.“
Text: Christoph Dierking
FAQ: Wie werde ich Pflegefachkraft?
Welche Voraussetzungen muss ich für die Ausbildung mitbringen?
Für die Ausbildung zur Pflegefachkraft ist ein mittlerer Schulabschluss erforderlich oder ein Hauptschulabschluss in Kombination mit einer erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildung beziehungsweise einer abgeschlossenen Ausbildung als Pflegeassistenz.
Wie lange dauert die Ausbildung?
Die Ausbildung dauert in Vollzeit drei Jahre.
Wo findet die Ausbildung statt?
Der theoretische Teil der Ausbildung findet in einer Pflegeschule statt, die Praxiseinheiten in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Einrichtungen der psychiatrischen Versorgung oder bei Pflegediensten – im Prinzip überall dort, wo Menschen gepflegt werden.
Was sind zentrale Ausbildungsinhalte?
Auf dem Lehrplan stehen Kommunikationstechniken, Ethik, Diagnostik sowie die Planung, Organisation und praktische Gestaltung der Pflege. Hinzu kommen Praxiseinheiten, etwa in der Akutpflege, Langzeitpflege und ambulanten Pflege.
Was verdiene ich?
Die Bezahlung richtet sich nach dem Träger der Einrichtung. In der freien Wirtschaft ist das Gehalt Verhandlungssache. Für öffentliche Träger gelten die Tarifverträge für Bund und Kommunen (TVöD) und der Länder (TV-L).
Eine ausgebildete Pflegefachkraft im Maßregelvollzug Moringen wird in der Regel in die Entgeltgruppe Kr 8 Stufe 2 (TV-L) eingruppiert. Die aktuellen Entgelttabellen veröffentlicht der dbb beamtenbund und tarifunion.
Welche Karrierechancen bieten sich mir nach der Ausbildung?
Seit dem 1. Januar 2020 gibt es in Deutschland die generalistische Pflegeausbildung. Heißt: Wer sie erfolgreich abschließt, kann Menschen aller Altersgruppen in allen Versorgungsbereichen pflegen. Entsprechend haben Pflegefachkräfte viele Optionen: Sie können fachlich eigene Schwerpunkte setzen und beispielsweise in der Pädiatrie (Kinderheilkunde), Onkologie, Intensivmedizin oder psychiatrischen Versorgung arbeiten. Mögliche Arbeitgeber sind Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste. Alle, denen organisatorische Aufgaben liegen, können perspektivisch Stationsleitungen übernehmen oder unter bestimmten Voraussetzungen ins Pflegemanagement wechseln. Möglich ist auch eine Karriere in der Bildung: Entweder als Praxisanleiter*in vor Ort oder als Lehrkraft in Pflegeschulen nach einem erfolgreich absolvierten Studium.
Wo finde ich weitere Informationen?
Informationen gibt es bei allen Trägern, die zur Pflegefachkraft ausbilden. Einen umfassenden Überblick hat auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zusammengestellt. Wer sich konkret für eine Ausbildung zur Pflegefachkraft im Maßregelvollzug Moringen interessiert, kann sich direkt beim niedersächsischen Maßregelvollzugszentrum informieren.