AG EuropaTschechische Ratspräsidentschaft: Rethink, Rebuild, Repower?
Am 31. Dezember endete die tschechische EU-Ratspräsidentschaft. Ein Anlass für Marc Westhöfer von der AG Europa, Bilanz zu ziehen.
Von Juli bis Dezember 2022 hatte die Tschechische Republik die EU-Ratspräsidentschaft inne – ihr Leitmotto: „Europe as a Task: Rethink, Rebuild, Repower“. Die Stärkung der gemeinsamen Freiheit, der Verantwortung, der Sicherheit und des Wohlstands sollte im Zentrum der tschechischen Präsidentschaft stehen.
Doch einen viel schlechteren Zeitpunkt, eine EU-Ratspräsidentschaft zu übernehmen, hätte man sich kaum vorstellen können – ein Angriffskrieg in Europa, galoppierende Energiepreise, die Regierung erst ein halbes Jahr im Amt. Hinzu kam, dass die vorherige Ratspräsidentschaft Tschechiens unter der konservativ-bürgerlichen Regierung Topolánek 2009 in Brüssel nicht unbedingt ein positives Echo hinterlassen hatte. Der Grund: Während der Präsidentschaft kam es in Prag zu einem Misstrauensvotum und einer neuen Übergangsregierung.
Konfliktlösung: zu wenig Einsatz
Das Verbot kurzfristiger Schengen-Visa für Menschen mit russischer Staatsbürgerschaft, die humanitäre Hilfe für die von Russland überfallene Ukraine, Ausbildungsmissionen für ukrainische Streitkräfte: „Das alles hat unsere Ratspräsidentschaft gebracht“, resümiert der tschechische Außenminister Jan Lipavský. Tschechiens zweite Ratspräsidentschaft sei seines Erachtens „sehr erfolgreich“ verlaufen.
Aus Sicht der AG Europa wäre es indes wünschenswert gewesen, wenn sich die tschechische Ratspräsidentschaft gemeinsam mit anderen europäischen Institutionen stärker für die Konfliktlösung eingesetzt hätte.
Versorgungssicherheit: zu wenig Engagement
Der russische Angriffkrieg drängte die EU auch in Sachen Energiewende zum Umdenken. Als wichtigstes kurzfristiges Ziel für die Versorgungssicherheit wollte die tschechische Ratspräsidentschaft die Abhängigkeit von russischen fossilen Energieimporten beenden. In Hinblick auf die Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft hieß es, die EU müsse ihre „Abhängigkeit von feindseligen oder instabilen Regimen“ drastisch verringern und dass Freihandelsabkommen mit „demokratischen Nationen in der Welt“ von zentraler Bedeutung seien.
Auch hier hätte sich die AG Europa stärkere Bemühungen gewünscht – von einem gemeinsamen funktionierenden Gaspreisdeckel kann zumindest nicht die Rede sein, solange dieser „atmen“ beziehungsweise flexibel angepasst werden kann.
Klimapolitik: zu wenig Führung
Die Tschechische Republik gehörte bislang nicht zu den eifrigsten Verfechtern umweltfreundlicher Politik auf EU-Ebene. Umso mehr überraschten die hochgesteckten Klimaziele während der Ratspräsidentschaft: das „Fit for 55“-Paket, mit dem die EU bis 2030 die Kohlenstoffdioxid-Emissionen um 55 Prozent reduzieren will, das Engagement für Biodiversität und Kreislaufwirtschaft sowie die Vorbereitung der Wiederherstellung der Umwelt in der Ukraine nach dem Krieg, all das wurde auf die Agenda gesetzt.
Die Pläne waren ambitioniert, doch blieb Tschechien aus Sicht der AG Europa bei der Verfolgung dieser Ziele blass. Auch auf der Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm-el-Scheikh hätte Tschechien eine stärkere Führungsrolle einnehmen müssen, meinen die jungen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Als kleinen Erfolg könne die tschechische Ratspräsidentschaft zumindest die Vereinbarung über den Aufbau eines Klimafonds für klimabedingte Schäden verbuchen.
Ausblick: Schweden am Zug
Zum 1. Januar 2023 hat Schweden die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Regierungschef Ulf Kristersson wird es schwer haben, ihr seinen programmatischen Stempel aufzudrücken – seine Minderheitsregierung aus moderaten und konservativen Kräften ist erst seit Oktober 2022 im Amt und auf die Unterstützung der rechtspopulistischen Schwedendemokraten angewiesen, die sehr selbstbewusst auftreten. Die AG Europa nimmt dies zum Anlass, von Schweden verstärkten Einsatz gegen den drohenden Rechtsruck in Europa zu fordern.