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Menschen unterstützen, Resilienz zu entwickeln: Das ist der Job von Corinna Slawitschka, Gründerin der Beratung „Rethink work“ in Bonn. Foto: Rethink work
Mentale Gesundheit„Resilienz trainieren heißt, die Komfortzone zu verlassen“
Krisen gehören zum Leben dazu, daran lässt sich nichts ändern. Im Interview mit #staatklar erklärt eine Expertin, wie es am besten gelingt, sich ihnen zu stellen.
Corinna Slawitschka lebt bewusst und achtsam: Sie freut sich, wenn sie morgens in bester Gesundheit aufstehen darf. Abends ist sie dankbar, wenn sie einen schönen Tag hatte und es allen gut geht. Und in einem Job zu arbeiten, der sie erfüllt und glücklich macht, darin sieht sie „eine große Ehre“, sagt sie.
Slawitschka arbeitet als Coach. Sie unterstützt Menschen, ihre Potenziale zu entfalten und steht ihnen in schwierigen Situationen bei – egal, ob Transformationsprozesse in Unternehmen oder private Herausforderungen. 2018 gründete die 35-Jährige „Rethink work“, eine Beratung mit Sitz in Bonn. Wichtig ist ihr, dass sich alle Konzepte auf den Alltag übertragen lassen. Denn den Wunsch nach Veränderung umzusetzen, sozusagen aus der Theorie in die Praxis zu kommen, ist oft gar nicht einfach. Dabei ein wesentlicher Schlüsselbegriff: Resilienz.
Resilienz – der Begriff hat viele Facetten. Im Kern handelt es sich um die innere Widerstandskraft, erklärt die studierte Betriebswirtin, sie spricht auch vom „seelischen Immunsystem“. Menschen mit einer starken Resilienz begegnen Krisen mit einer gewissen Gelassenheit, lassen sich nicht so schnell unterkriegen und stehen schneller wieder auf. Sie begeben sich nicht in die Opferrolle, sondern nehmen das Zepter in die Hand und gestalten ihr Leben. Resilienz sorgt bei Alltagsirritationen für Stresskompetenz, bei Lebenskrisen wird sie zur Überlebenskompetenz. „Und sie ist eng mit Lebensmut und Lebensbejahung verbunden, das Gegenteil von Verhärtung und Verbitterung“, ergänzt Slawitschka. Die gute Nachricht für alle, die sich schnell von Krisen aus der Bahn werfen lassen: Resilienz ist trainierbar.
Bereit für den Ideencampus 2023?
Corinna Slawitschka ist Speakerin auf dem Ideencampus der dbb jugend am Donnerstag, 19. Oktober 2023. Im Fokus steht dieses Jahr die Frage: „Generation Krise – staatklar für die Zukunft?“ Weitere Informationen gibt es auf der Website der dbb jugend, die Anmeldung erfolgt online.
#staatklar: Frau Slawitschka, Resilienz bestimmt, wie Menschen Krisen begegnen. Wenn nun jemand glücklich ist, keine Probleme hat, es eben gut läuft im Leben – lohnt sich auch dann die Beschäftigung mit dem Thema?
Corinna Slawitschka: Auf jeden Fall! Bestenfalls fängt die Beschäftigung mit Resilienz sogar im gesunden, krisenfreien Zustand an. Es ist eine Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen. Zu verstehen, was potenziell Stress auslösen könnte und warum. Lernen, was einen im Krisenfall stärkt und welche Ressourcen sich aktivieren lassen. So bekommt man eine wunderbare Innenschau und wappnet sich für spätere Krisen – und die bleiben im Leben sicher nicht aus.
Das zeigt sich unter anderem in der aktuellen Trendstudie Jugend in Deutschland. Demnach leiden 46 Prozent der 14- bis 29-Jährigen unter Stress. Wie erklären Sie sich dieses Ergebnis?
Da kommen viele Ebenen zusammen. Als zentralen Stressfaktor sehe ich den Umgang mit digitaler Kommunikation und Smartphones, ohne jetzt die Technik an sich verurteilen zu wollen. Aber der Druck, ständig erreichbar zu sein, macht etwas mit uns Menschen. Smartphones sind eine permanente Einladung zum Multitasking. Wir sitzen im Restaurant oder im Café, fotografieren unser Essen und laden die Bilder ins Internet. Dabei verlassen wir ständig die Gegenwart, leben nicht mehr im Hier und Jetzt, genießen nicht mehr den Moment.
Soziale Netzwerke führen dazu, dass wir uns ständig vergleichen. Bin ich klug genug? Bin ich schön genug? Bin ich erfolgreich genug? Das alles raubt Zeit und vor allem Energie, was vielen Menschen gar nicht bewusst ist. Vor allem die junge Generation ist stark mit dem Smartphone vernetzt und deshalb besonders gestresst.
Was sind aus Ihrer Sicht weitere Stressfaktoren?
Ich glaube, dass auch Orientierungslosigkeit eine große Rolle spielt. Die junge Generation blickt, nachdem sie die Schule verlassen hat, auf die schier unendlichen Möglichkeiten der globalisierten Welt, die viel umfassender sind als früher. Das Elternhaus und die Schule haben immer die nächsten Schritte vorgegeben und plötzlich sollen alle wissen, wie ihr weiterer Weg aussehen soll. Es ist extrem herausfordernd, gute Entscheidungen zu treffen. Die vielen Möglichkeiten hemmen die Entscheidungsfreude. Das ewige Aufschieben, nicht zu wissen, wohin die Reise gehen soll, das ist ein riesiger Energieräuber. Wer die Wahl hat, hat die Qual.
Hinzu kommt: Subtil im Hintergrund lauern die multiplen Krisen unserer Zeit, die wir stets mit dem Smartphone herumtragen. Pandemie, Klimawandel, eine weltweit politisch angespannte Situation, diese Entwicklungen sind omnipräsent.
Die Krisen werden uns wohl noch ein Stück begleiten, die privaten, beruflichen und gesellschaftlichen. Zurück zur Resilienz: Wie können wir sie trainieren und dadurch krisenfester werden?
Es beginnt damit, achtsam zu sein. Das bedeutet unter anderem: die kleinen Dinge wahrnehmen, die uns selbstverständlich erscheinen, es aber gar nicht sind. Sich abends bewusstmachen: Ich hatte heute eine schöne Begegnung und bin sicher nach Hause gekommen. Und auch, wenn ich im Stau stand und möglicherweise eine Präsentation misslungen ist: Ich bin gesund. Wir haben ständig die großen Krisen vor Augen, aber ganz nüchtern betrachtet lauern doch die größten Gefahren im Alltag, wie etwa die Teilnahme am Straßenverkehr. Unser Gehirn ist ein Meister darin, das auszublenden. Deshalb vergessen wir diese Form von Dankbarkeit, die uns guttut.
Wichtig ist auch die Erkenntnis: Wir Menschen wachsen nun einmal an unseren Herausforderungen. Ich höre immer wieder von Eltern, die sich massiv einmischen – teils sind inzwischen aus den Helikopter-Eltern sogenannte Rasenmäher-Eltern geworden, die nicht nur behüten, sondern alle Unebenheiten im Leben ihrer Kinder beseitigen wollen. Damit tun sie der nächsten Generation keinen Gefallen, weil sie keine Konfliktkompetenz lernt. Man muss auch mal Streit aushalten, mal mit einer Vier nach Hause kommen.
Haben Sie ein Beispiel für eine Herausforderung, an der Sie persönlich gewachsen sind?
Ich habe es als junger Mensch gehasst, vor Gruppen zu sprechen. Heute stehe ich auf Bühnen. Warum? Weil ich in der Schule präsentieren und meine Komfortzone verlassen musste. Ich rede nicht davon, Menschen mit Angststörungen in Situationen zu treiben, die ihnen nicht behagen. Mir geht es um die Realität, dass es im Leben immer Situationen gibt, die uns Bauchschmerzen bereiten. Und diese können wir meistern. Resilienz trainieren heißt, die Komfortzone zu verlassen.
Sie sprachen eben vom problematischen Umgang mit dem Smartphone und sozialen Medien. Wie können wir denn achtsam mit der digitalen Kommunikation umgehen?
Indem wir, ganz plakativ gesagt, auch mal das Handy beiseitelegen – und stattdessen Selbstreflexion üben: Achtsamkeit bedeutet auch, in sich hineinzuhorchen. Sich strukturiert mit seinen Gedanken auseinanderzusetzen, Gedankenhygiene zu betreiben. Was passiert da gerade in meinem Köpfchen? Stecke ich im Gedankenkarussell fest? Empfinde ich etwas als unangenehm? Wo spüre ich das in meinem Körper?
Wir müssen aus dem Ich-Denken raus und wieder zu einem progressiven Wir-Denken kommen.
Corinna Slawitschka
Wer den Medienkonsum einschränkt, gewinnt Zeit. Und was uns in den Familien meiner Meinung nach fehlt, ist Zeit. Gemeinsame Zeit. Zeit zum Zuhören. Zeit für echte Begegnungen. Das ist ganz wichtig, um Resilienz zu formen – denn sie definiert sich auch dadurch, dass wir im echten Leben liebe Menschen um uns haben, die uns im Krisenfall auffangen.
Kommen wir zu einem konkreten Beispiel: Im öffentlichen Dienst gelten vor allem Lehrerinnen und Lehrer als gefährdet für Burnout. Wie könnte eine Lehrkraft ihre Situation sinnvoll analysieren und für sich Strategien für mehr Resilienz entwickeln?
Hohe Arbeitsbelastung, laute Klassen, Diskussionen mit Eltern, versäumte Erziehungsaufgaben nachholen, digitalen Unterricht gestalten – all das sind mögliche Stressfaktoren für Lehrkräfte, die es im Einzelfall zu identifizieren gilt. Nehmen wir das Beispiel Digitalisierung: Durch die Pandemie war der Overheadprojektor plötzlich mit einem Fingerschnipsen weg. Viele Lehrkräfte sahen sich mit den Fragen konfrontiert: Was wird jetzt von mir erwartet? Wie nehme ich die jungen Menschen mit, die teils viel fitter im Digitalen sind als ich?
Zunächst ist das Erkennen und Akzeptieren eines Stressfaktors wichtig, um in die Problemlösung zu kommen – im konkreten Fall könnte das eine Fortbildung sein.
Und wer das Problem ignoriert und nicht akzeptiert, verschärft den Stress.
Genau, das ist die Gefahr. Ich persönlich finde auch den Gedanken spannend, dass Schülerinnen und Schüler in einem solchen Fall ihren Lehrkräften etwas beibringen und ihnen die neuesten digitalen Entwicklungen zeigen.
Mehr entdecken im Jobkompass: der Lehrer – frühe Praxislust statt später Praxisfrust
Akzeptieren heißt auch: Ein Lehramt ist ein stressiger Job. Es wird immer wieder schwierige Kinder und Eltern geben. In diesem Zusammenhang ist es zum einen wichtig, sich die Sinnfrage vor Augen zu führen: Lehrerinnen und Lehrer leisten einen unfassbar wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft, indem sie junge Menschen fachlich ausbilden. Sie legen das Fundament für die Arbeitswelt. Wer weiß, warum er etwas macht, dass sein Handeln einen Nutzen hat, kann oft besser mit Stress umgehen.
Und zum anderen ist es besonders wichtig, sich nach Feierabend abzugrenzen, wie bei allen anderen stressigen Jobs auch. Sich aktiv zu sagen, dass nun Feierabend ist, und etwas zu unternehmen, was einem guttut. Zeit mit Menschen zu verbringen, die einem guttun. Einen Ausgleich herzustellen, Energie zu tanken. Möglicherweise auch über Probleme sprechen, um sie zu verarbeiten. Denn das leistet unser Gehirn am besten durch Versprachlichung, alternativ auch durch Verschriftlichung.
Klar, wir hatten es schon mehrmals: Krisen gehören zum Leben dazu. Trotzdem kann der Staat Voraussetzungen schaffen, dass sie nicht so schnell entstehen. Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Da gibt es viele Aspekte, unter anderem im Bildungs- und Gesundheitswesen. Aber mir sind vor allem zwei grundsätzliche Dinge wichtig. Zunächst: Ja, es gibt viele Krisen. Aber ganz objektiv betrachtet geht es den meisten Gesellschaftsschichten verhältnismäßig gut. Das dürfen wir nicht vergessen.
Und dann ist mir wichtig: Die Pandemie hat meiner Meinung nach dazu geführt, dass viele Menschen auf sich bezogen sind. Wir müssen aus dem Ich-Denken raus und wieder zu einem progressiven Wir-Denken kommen. Der Staat muss Strategien überlegen, wie er die Leute zusammenbringt, Räume für Begegnungen und Austausch schafft. Wertewelten austauschen, Diversität leben – das ist die Grundlage, um gemeinsame Lösungen für die Krisen unserer Zeit zu finden.
Interview: Christoph Dierking