Bundeshaushalt 2024„Kürzt uns nicht weg!“ – Junger DBSH verurteilt Sparpläne
Digitalisierung, Freiwilligendienst, Migrationsberatung: Dafür soll es laut Haushaltsentwurf der Bundesregierung weniger Geld geben. Der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) warnt vor den Folgen.
Noch vor zwei Jahren hat Anne Klotz nicht gewusst, wie ein Faxgerät funktioniert – und sie hat auch nicht damit gerechnet, dass sie es noch lernen muss. Aber weil es mit der digitalen Übermittlung ein technisches Problem gibt, muss sie Dokumente an andere Institutionen faxen.
„Aktuell haben wir keine andere Möglichkeit“, sagt die 25-Jährige, die bei einem Bildungsträger beschäftigt ist und sich beim Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) engagiert. Sie kennt Kolleginnen und Kollegen, die ihre Arbeitszeiten in Excel-Tabellen eintragen, weil es keine digitale Zeiterfassung gibt. „Und in dieser Gemengelage will die Bundesregierung bei der digitalen Transformation sparen“, kritisiert die Gewerkschafterin. Das gehe aus dem Haushaltsentwurf 2024 hervor. „Es ist absurd, bei Dingen zu kürzen, die schon seit Jahren viel besser laufen sollten.“
Konkret meint Klotz das „Förderprogramm zur Zukunftssicherung der Freien Wohlfahrtspflege durch Digitalisierung“, das die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) und das Bundesfamilienministerium ins Leben gerufen haben. Das Ministerium will die Fördergelder auf Null setzen. Doch auch in anderen Bereichen der Sozialarbeit soll gespart werden: bei der Migrationsberatung für erwachsene Einwanderer (MBE), der psychosozialen Hilfe für geflüchtete Menschen und den Freiwilligendiensten. „Die Rechnung ist simpel“, sagt Klotz. „Weniger Geld führt zu weniger Projekten und damit zu weniger Unterstützung für sozial benachteiligte Menschen.“
Bis zu 30.000 Plätze drohen wegzufallen
Besonders kritisch sieht die Sozialarbeiterin die geplanten Kürzungen bei den Freiwilligendiensten. Sie sollen insgesamt 78 Millionen Euro weniger erhalten als im laufenden Jahr. Für die Jugendfreiwilligendienste – dazu gehören das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) – sind für 2024 nur noch 96 Millionen vorgesehen, 2023 waren es 121 Millionen; für den Bundesfreiwilligendienst (BFD), der ebenfalls Erwachsenen über 27 Jahren offensteht, sollen 2024 statt 207 Millionen Euro nur noch 154 Millionen zur Verfügung stehen. Nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands könnten bis zu 30.000 Plätze wegfallen, sollte der Bundestag den Haushaltsentwurf in der aktuellen Fassung beschließen.
Die Einsparungen hätten auf mehreren Ebenen dramatische Folgen, erklärt Klotz, die selbst ein FSJ absolviert hat. Zunächst biete der Freiwilligendienst jungen Menschen erste Einblicke in die Berufswelt und die Möglichkeit, soziale und – je nach Einsatzort – auch interkulturelle Kompetenzen zu erlernen. Wer einen Freiwilligendienst absolviert, unterstützt die Arbeit in Kitas und Schulen, in sozialen Projekten und der Pflege oder auch in Naturschutz und Sport. „Es ist eine Win-win-Situation, beide Seiten profitieren“, betont die Gewerkschafterin vom DBSH. Und nicht zuletzt gewinne die Sozialarbeit über die Freiwilligendienste Nachwuchs. „Es ist ja nicht so, dass wir derzeit einen Überschuss an Fachkräften haben.“
Wohlfahrtsverbände warnen vor Kollaps
Im Oktober haben Arbeiterwohlfahrt (AWO), Diakonie Deutschland und Paritätischer Wohlfahrtsverband mehr als 2.700 Einrichtungen aus dem gesamten Spektrum der Sozialen Arbeit befragen lassen. Wesentliches Ergebnis: In ganz Deutschland drohen viele Angebote vollständig wegzubrechen, und das trotz steigendem Bedarfs, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Wohlfahrtsverbände. Demnach mussten 40 Prozent der befragten Einrichtungen ihre Angebote und Leistungen bereits einschränken, in manchen Fällen sogar ganz einstellen, weil finanzielle Mittel fehlen. 65 Prozent gehen davon aus, dass es zu weiteren Einschränkungen kommt. Seit Anfang 2022 sehen sich die befragten Einrichtungen mit Kostensteigerungen von durchschnittlich 16 Prozent konfrontiert.
Der Haushaltsentwurf des Finanzministers wird der Realität der Sozialen Arbeit nicht gerecht.
Anne Klotz, Sprecherin Junger DBSH
„Bei einem Bundeshaushalt von rund 446 Milliarden Euro mögen die Kürzungen in den sozialen Bereichen vielleicht gering erscheinen, sie richten aber großen Schaden an“, kommentiert Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, die Umfrageergebnisse. Wer in Zeiten großer Unsicherheit und gesellschaftlicher Umbrüche nicht in eine stabile soziale Infrastruktur investiere, müsse später ungleich höhere Summen für die Lösung der sozialen Folgeprobleme bezahlen. Michael Groß, Präsident der Arbeiterwohlfahrt, resümiert: „Der Haushaltsentwurf des Finanzministers wird der Realität der Sozialen Arbeit nicht gerecht.“
30 Prozent weniger für Migrationsberatung
Asylantrag, Integration, Sprachkurs: Wenn geflüchtete Menschen Fragen haben, ist unter anderem die Migrationsberatungen für erwachsene Einwanderer (MBE) eine Anlaufstelle. Dort unterstützen die Mitarbeitenden in diversen Landessprachen. Für das Angebot sollen 2024 nur noch 57,5 Millionen Euro zur Verfügung stehen, 30 Prozent weniger als 2023. Die Caritas schlägt Alarm: Ohne ausreichende Mittel können die Stellen der Beschäftigten in der Migrationsberatung nicht mehr finanziert werden, heißt es auf der Website des Verbandes. Das befürchtet auch Anne Klotz: „Alle wollen, dass sich die Geflüchteten an unsere Regeln halten, Deutsch lernen und sich integrieren“, sagt sie. „Aber dann brauchen wir auch Leute, die ihnen vermitteln, wo es langgeht.“
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Wie es mit dem Haushaltsentwurf weitergeht? Über das Haushaltsgesetz soll der Bundestag Anfang Dezember abstimmen. Doch zunächst findet am 16. November die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses statt, in der die Mitglieder die Endfassung des Bundeshaushalts für 2024 festzurren.
Bis dahin sind noch Änderungen möglich – im Oktober etwa hat der Haushaltsausschuss angesetzte Kürzungen für die Jugendverbandsarbeit im Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) zurückgenommen, erklärt der Bundesjugendring in einer Pressemitteilung. Statt Kürzungen soll es weitere Fördermittel in Höhe von drei Millionen Euro geben. „Dieses Beispiel zeigt, dass das letzte Wort nicht gesprochen ist“, sagt Anne Klotz und fordert: „Kürzt uns nicht weg! Sozialarbeit leistet Präventionsarbeit und ist damit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt von zentraler Bedeutung!“
Text: Christoph Dierking