-
Nachhaltigkeit ist ein Thema, das schnell polarisiert. Sinnbild hierfür sind Windräder. Foto: Unsplash/Gonz DDL
Wie Nachhaltigkeit umsetzen?„Kommunikation ist das A und O“
Ökologisch, ökonomisch, sozial: Nachhaltigkeit hat drei Dimensionen, sagt Karsten Wittke, Experte für kommunale Entwicklungspolitik. Eine davon hat eine Schlüsselfunktion.
Nachhaltigkeit, der Begriff wurzelt in der Forstwirtschaft. Die Menschen holzten den Wald ab, machten sich aber keine Gedanken darüber, wo neues Holz herkommen könnte. Und dann war irgendwann kein Holz mehr da. „Letztlich ist das der Kern von Nachhaltigkeit“, sagt Karsten Wittke. „Nicht mehr zu entnehmen, als man braucht.“
Wittke ist Koordinator für kommunale Entwicklungspolitik in Baruth/Mark, einer brandenburgischen Kleinstadt mit 4.500 Einwohnern, 60 Kilometer südlich von Berlin. Alles, was mit Nachhaltigkeit zu tun hat, geht über seinen Schreibtisch. Im Interview mit #staatklar spricht er über die Umsetzung von Nachhaltigkeit, die in der Praxis nicht immer ganz einfach ist.
Bereit für den Ideencampus 2023?
Karsten Wittke ist Speaker auf dem Ideencampus der dbb jugend am Donnerstag, 19. Oktober 2023. Im Fokus steht dieses Jahr die Frage: „Generation Krise – staatklar für die Zukunft?“ Weitere Informationen gibt es auf der Website der dbb jugend, die Anmeldung erfolgt online.
#staatklar: Herr Wittke, Nachhaltigkeit berührt drei Dimensionen: die soziale, die ökologische und die ökonomische. In welchen Handlungsfeldern spiegeln sie sich auf der kommunalen Ebene wider?
Karsten Wittke: In meinen Augen lassen sich die einzelnen Dimensionen nicht immer klar abgrenzen und eindeutigen Handlungsfeldern zuordnen. Nehmen wir Windräder als Beispiel. Sie erzeugen Strom, der klimafreundlicher und nachhaltiger ist als Strom aus fossilen Energieträgern. Das ist, wenn man so will, die ökologische Dimension. Baut ein Energieversorger Windräder auf dem Grund und Boden eines Landwirts, bekommt der Landwirt Geld – das wiederum berührt die ökonomische Dimension.
Und damit sind wir auch schon bei der sozialen: Der eine möchte nicht einsehen, warum der andere Geld bekommt und er selbst nicht. Oft entstehen Zielkonflikte – diese aufzulösen und die drei Dimensionen zusammenzubringen, das ist meistens ein komplexer Abwägungsprozess. Man muss Prioritäten setzen. Nachhaltigkeit ist ein Thema, das unheimlich schnell polarisiert und ideologisiert.
Baruth hat 2019 eine Musterresolution unterschrieben und sich damit zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen bekannt. Was bedeutet das genau?
Kernstück der Resolution sind 17 Nachhaltigkeitsziele, die alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen berühren, darunter Klimaschutz, nachhaltiges Wirtschaften und Armutsbekämpfung. Ich sehe die Resolution als Möglichkeit, in das Thema einzusteigen. Das müssen Stadt- beziehungsweise Gemeinderäte aktiv beschließen.
Aktuell haben 236 Kommunen unterschrieben – das ist in Betracht der Tatsache, dass es in Deutschland etwa 11.000 Kommunen gibt, sehr wenig. Dabei hat die Resolution das Potenzial, dem Engagement für Nachhaltigkeit einen offizielleren Rahmen zu geben. Es gibt zwar keine Kontrollmechanismen, aber es geht eben auch um Signalwirkung. Denn das Thema Nachhaltigkeit zählt nicht zu den kommunalen Pflichtaufgaben. Und darüber hinaus gilt: Wenn alle Kommunen ein bisschen unternehmen, kann das in der Summe schon einiges bewirken.
Was sind aus Ihrer Sicht Meilensteine, die Sie bisher vor Ort umgesetzt haben?
Seit 2019 gibt es bei uns jährlich eine Staffel von etwa sechs Bürgerdialogen, das ist quasi das Leuchtturmprojekt. In diesem Rahmen brechen wir die großen Themen auf die kommunale Ebene herunter.
Wir diskutieren barrierefrei, ohne Fremdwörter, sodass sich alle beteiligen können. Beispielsweise haben wir über Wassermanagement gesprochen. Leitfrage: Wie müssen wir unsere Kulturlandschaft gestalten, um mit Wassermangel zurechtzukommen?
Ohne Akzeptanz und Verständnis – also ohne soziale Nachhaltigkeit – gibt es auch keine ökologische und ökonomische.
Karsten Wittke
Die Dialoge werden professionell moderiert – im konkreten Fall hatten wir einen Experten eingeladen, der mit dem Chef der lokalen Wasserwerke diskutiert hat. Die Bürgerinnen und Bürger können in dem Format alle ihre Fragen stellen und sich einbringen. Einmal wurde der Wunsch an mich herangetragen, etwas für die Vermeidung von Plastikmüll auf unseren Stadtfesten zu unternehmen – aus dem Dialog folgte die Einführung eines Pfandbechers.
Das klingt jetzt alles vielleicht nicht so spektakulär, aber auf lange Sicht geht es darum, Grundlagen für alles Weitere zu schaffen. Denn ohne Dialog, ohne Akzeptanz und Verständnis – also ohne soziale Nachhaltigkeit – gibt es auch keine ökologische und ökonomische.
Nachhaltigkeit berührt nicht nur die lokale Ebene vor Ort, sondern auch die globale. Baruth hat seit 2011 eine Partnerstadt in der Mongolei: Murun, im nördlichen Teil des Landes. Was wurde dort erreicht?
Zunächst ist es mir wichtig, dass es eine Partnerschaft ist: Beide Städte begegnen sich auf Augenhöhe und unterstützen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Wir haben beispielsweise Rettungsfahrzeuge nach Murun geschickt, um die medizinische Versorgung zu verbessern. Und während der Pandemie hat Murun uns mit Masken versorgt, als es in Deutschland keine mehr gab. Es ist ein Geben und Nehmen. Wir wollen nicht erziehen, sondern unser Wissen teilen, ohne Bevormundung und Besserwisserei. So setzen wir den globalen Nachhaltigkeitsgedanken um.
Natürlich ist in Murun vieles nicht selbstverständlich, was für uns selbstverständlich ist. Konkret haben wir dabei geholfen, in den Schulen trinkbares Wasser zur Verfügung zu stellen. Mit Unterstützung des Baruther Wasserbetriebs wurde die städtische Kläranlage ertüchtigt, mit deutscher Unterstützung ein Ausbildungszentrum für nachhaltige Ökologie und berufliche Weiterbildung errichtet. Aktuell ist ein Projekt für nachhaltiges Abfallmanagement in der Schlussphase. Dabei geht es darum, eine Wertstoffsammlung zu etablieren, Müll zu vermeiden und damit Deponien zu entlasten. Der beste Müll ist der, der erst gar nicht entsteht.
Sie sagten, dass sich in Deutschland bislang nur wenige Kommunen offiziell zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen bekennen. Was raten Sie Kommunen, die ihr Engagement für Nachhaltigkeit verstärken wollen?
Ganz grundsätzlich rate ich dazu, über den Tellerrand zu schauen, nicht in festgefahrenen Strukturen zu denken, offen zu sein – und vor allem das große Ganze im Blick zu haben. Meine Wahrnehmung ist, dass vieles getrennt gedacht wird. Aber wenn es um Nachhaltigkeit geht, ergibt es keinen Sinn, etwa Bauen, Bildung und Umweltschutz getrennt zu betrachten.
Mehr entdecken: Wie drei Kommunen Nachhaltigkeit umsetzen
Darüber hinaus gilt: Kommunikation ist das A und O. Sonst kann der Wandel nicht gelingen. Tatsächlich stelle ich in Diskussionen immer wieder fest, dass vor allem kleine Kommunen großes Interesse an Nachhaltigkeit haben, aber gar nicht wissen, wie sie das Thema angehen sollen. Da sehe ich strukturell großen Handlungsbedarf.
Was meinen Sie damit?
Momentan ist es so, dass auf höchster Ebene viele gute Konzepte erarbeitet werden. In den Kommunen fehlen allerdings Wissen und Personal. Vieles bleibt sozusagen im Flaschenhals stecken und ist deshalb nicht praxistauglich.
Wie können Bund und Länder Ihre Arbeit für mehr Nachhaltigkeit erleichtern?
Ich wünsche mir einen stärkeren Dialog: Die Kommunen dürfen nicht die sein, die am wenigsten einbezogen werden, aber am Ende alles machen sollen.
Außerdem wünsche ich mir eine ernsthafte Diskussion über die Frage, ob und inwieweit es sinnvoll ist, Nachhaltigkeit als Pflichtaufgabe für die kommunale Verwaltung zu definieren, was derzeit in den Landesverfassungen nicht der Fall ist. Dann gäbe es einen klaren Handlungsauftrag, was wiederum Personalgewinnung und Finanzierung erleichtern würde. Letztere läuft aktuell fast ausschließlich über Förderprogramme.
Drei Gemeinden haben den Wunsch, Nachhaltigkeit zur Pflichtaufgabe zu erklären, bereits in der sogenannten Eltviller Erklärung zum Ausdruck gebracht, die inzwischen mehrere Bürgermeister und Bürgermeisterinnen unterschrieben haben. Wir brauchen mehr Professionalisierung. Momentan ist alles wahnsinnig kompliziert.
Interview: Christoph Dierking