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Für die GDL das zentrale Druckmittel: Leere Gleise, hier am Berliner Hauptbahnhof. Foto: Markus Winkler/Unsplash
Tarifverhandlungen mit der BahnJunge GDL: „Wir sind kein Schoßhündchen, sondern eine Gewerkschaft!“
Claudio Albrecht ist Lokomotivführer und Bezirksjugendleiter bei der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Im Interview erklärt er die Ziele für die aktuellen Tarifverhandlungen – und übt scharfe Kritik an der Bahn.
#staatklar: Herr Albrecht, bereits vor der zweiten Verhandlungsrunde ist die GDL in den Warnstreik getreten. Viele Menschen fürchten auch Streiks über die Weihnachtsfeiertage. Angenommen, Sie stehen am Bahnsteig, kein Zug fährt, überall Unmut und Chaos. Was würden Sie den Fahrgästen sagen?
Claudio Albrecht: Zunächst ist mir wichtig: Aktuell wird überall so getan, als sei der Streik über die Weihnachtstage schon beschlossene Sache. Das haben wir zu keinem Zeitpunkt gesagt. Im Gegenteil, wir haben gesagt, dass wir über Weihnachten nicht streiken werden. Die GDL hat noch nie in ihrer Geschichte an den Weihnachtsfeiertagen gestreikt und das ist auch in diesem Jahr so.
Am Bahnsteig werbe ich bei den Menschen um Verständnis. Ich erkläre, dass stehende Züge nun einmal das entscheidende Druckmittel sind, um die berechtigten Interessen der Berufsgruppen im Eisenbahnverkehr durchzusetzen. So ärgerlich das auch für die betroffenen Fahrgäste sein mag. Aber im Endeffekt kann ich mir niemanden vorstellen, der nicht froh wäre, einen Claus Weselsky an seiner Seite zu wissen, wenn es um die eigene Bezahlung und die eigenen Arbeitsbedingungen ginge.
Zwischenzeitlich hatte sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zu den Tarifverhandlungen geäußert: „Weihnachten ist das Fest des Friedens, darüber sollten sich alle Tarifparteien Gedanken machen“, sagte er.
Nur weil die Tarifverhandlungen in die Weihnachtszeit fallen, können wir doch nicht darauf verzichten, für die Interessen unserer Mitglieder zu kämpfen. Wir sind kein Schoßhündchen, sondern eine Gewerkschaft! Mit derartigen Aussagen hilft der Bundesverkehrsminister nur dem roten Riesen Deutsche Bahn AG.
Haben Gewerkschaften in Deutschland heutzutage einen schweren Stand?
Die GDL gewinnt aktuell Mitglieder hinzu. Wir haben mehr Eintritte als Austritte. Aber ja, insgesamt ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad in Deutschland über alle Gewerkschaften rückläufig. Wenn wir nicht aufpassen, kommen wir in eine Situation, in der die Arbeitgebenden aufgrund des niedrigen Organisationsgrads ihren Willen durchdrücken können. Ohne Mitglieder nimmt Gewerkschaften niemand ernst. Oder wie es das Bundesarbeitsgericht bezeichnet hat: Es wäre kollektives Betteln.
Alle, die sich über uns aufregen, frage ich: Sind Sie nicht dankbar dafür, dass es in regelmäßigen Abständen Lohnerhöhungen gibt? Dass die 60-Stunden-Woche Geschichte ist? Dass es keine Kinderarbeit mehr gibt? Dies sind alles Verdienste der Gewerkschaftsbewegung! In den USA sehen wir bereits, was passiert, wenn die Gewerkschaften am Boden sind. Dort liest man von Minderjährigen, die auf dem Bau arbeiten sollen. Die Arbeitgebenden verkaufen das als Unterstützung für finanzschwache Familien. Für mich ist das Kinderarbeit.
Zurück zu den Tarifverhandlungen: Die GDL fordert die Absenkung der Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich. Die Bahn lehnt das ab – mit dem Argument, dass jede Fachkraft gebraucht wird und sich die fehlende Arbeitskraft nicht ohne Weiteres ersetzen lässt. Ist das nicht berechtigt?
Gegenfrage: Warum wird jede Fachkraft gebraucht? Und warum lässt sich fehlende Arbeitskraft nicht ohne Weiteres ersetzen?
Grund ist, dass es nicht mehr attraktiv ist, im Bereich der Eisenbahnen zu arbeiten. Das gilt für alle Berufsgruppen gleichermaßen, für Fahrdienstleiter*innen, Kundenbetreuer*innen, Fahrweg- und Fahrzeuginstandhalter*innen und Lokomotivführer*innen.
Warum ist das so?
Hintergrund ist einerseits der unregelmäßige Schichtdienst. Heißt: Mal fange ich nachts um 3 Uhr an, mal nachmittags um 14 Uhr, mal abends um 20.30 Uhr. Andererseits bieten Unternehmen in der freien Wirtschaft Homeoffice und die Vier-Tage-Woche. Homeoffice scheidet für mich als Lokomotivführer aus, ich kann die Lok ja schlecht mit nach Hause nehmen.
Mit der Forderung nach der 35-Stunden-Woche wollen wir als Gewerkschaft bewirken, dass die Arbeit im Eisenbahnverkehr und im Schichtdienst attraktiver wird. Wenn die Bahn jammert, dass sie keine Fachkräfte bekommt, soll sie auch etwas dazu beitragen, dass die Arbeitsbedingungen attraktiver werden. Somit ist aus Sicht der GDL die Arbeitszeitreduzierung, mag sie im ersten Moment abwegig klingen, der richtige Schritt, um die Attraktivität der Berufe zu steigern. Das gilt übrigens auch für die Bezahlung.
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Die GDL fordert 555 Euro mehr pro Monat und einen Inflationsausgleich von 3.000 Euro. Woher soll das Geld kommen?
Die Bahn muss sich wieder auf ihr Kerngeschäft besinnen. Und das ist der Eisenbahnverkehr. Es ist vollkommen unverständlich, dass Geld für Häfen, Busunternehmen und diverse andere Geschäftsfelder, auch am anderen Ende der Welt, vorhanden ist und die Gehälter für die Beschäftigten auf der Strecke bleiben. Abgesehen davon: Das Jahresgehalt des Vorstandsvorsitzenden entspricht ungefähr dem, was ein Lokomotivführer in seinem gesamten Berufsleben verdient. Da stimmt die Verhältnismäßigkeit nicht mehr.
Wie sähe die ideale Realität für Lokomotivführer*innen aus?
Ein anständiges Gehalt. Arbeits- und Ruhezeiten, die es ermöglichen, sich vernünftig zu regenerieren. Und Wertschätzung für unsere Berufe. Die Beschäftigten sind aktuell Prellbock für alles, was bei der Bahn schiefläuft. Immerhin sagen mir viele Fahrgäste, nachdem sie ihren ganzen Ärger und Frust abgeladen haben, dass ich ja nur Arbeitnehmer sei und nichts dafür könne. Aber ich bin auch Gewerkschafter und möchte etwas ändern. Denn ich habe mich aus Überzeugung und Leidenschaft für meinen Beruf entschieden.
Interview: Christoph Dierking