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InterviewJan Eichhorn ist Gründungsmitglied von d|part, einem Thinktank mit Sitz in Berlin. Foto: d|part
Jan Eichhorn im Interview „Nicht für junge Leute, sondern mit jungen Leuten sprechen“
Die Demokratie braucht Innovation. Im Interview schildert Jan Eichhorn, Forschungsdirektor von d|part, warum ein Festhalten an veralteten Strukturen und Denkweisen fatal ist.
d|part – das „d“ steht für „Demokratie“, „part“ für „Partizipation“. Zwei Dinge, die im Idealfall miteinander einhergehen. Und hinter d|part verbirgt sich ein Thinktank mit Sitz in Berlin, dessen Ziel es ist, die Partizipation zu fördern. Vor allem mit Blick auf unterrepräsentierte Gruppen.
„In der Praxis gibt es viele Hürden, die dazu führen, dass bestimmte Gruppen in der Demokratie unterrepräsentiert sind“, sagt Jan Eichhorn, promovierter Sozialwissenschaftler und Gründungsmitglied von d|part. „Eine dieser Gruppen sind ganz klar auch junge Menschen.“
Wissen und Expertise nutzbar machen
Eichhorn hat sich bereits als Jugendlicher in der Schülervertretung engagiert. Alle, die für d|part arbeiten, waren in der Vergangenheit in ganz unterschiedlichen Bereichen politisch aktiv. Und alle kommen aus der Forschung. „Wir wollten unser Wissen für die Praxis nutzbar machen“, erzählt der gebürtige Magdeburger. „Außerdem brannte es uns unter den Nägeln, wieder näher am politischen Tagesgeschäft zu sein.“ Diese Gedanken waren die Initialzündung für die Gründung von d|part. Heute berät der Thinktank staatliche Institutionen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Politiker*innen.
Dabei stehen demokratische Innovationen im Fokus. Im Gespräch mit #staatklar schildert Eichhorn, wie die Politik junge Menschen besser und nachhaltiger einbeziehen kann.
#staatklar: Herr Eichhorn, ist unsere Demokratie eigentlich schon im 21. Jahrhundert angekommen?
Jan Eichhorn: Nun, es gab in den vergangenen Jahren viele positive Tendenzen. Wir beobachten bei jungen Menschen einen Anstieg von Parteieintritten. Und die Lücke in der Wahlbeteiligung, die lange zwischen den Generationen klaffte, ist kleiner geworden. Junge Menschen gehen häufiger zur Wahl.
Aber in manchen Bereichen stehen wir noch an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Funktionierende Demokratien zeichnen sich dadurch aus, dass sie viele Akteure zusammenbringen, etwa Institutionen und Parteien. Dazu sollten jedoch auch Interessengruppen außerhalb der Parlamente gehören. Gerade dort nehmen junge Menschen demokratische Repräsentation sehr ernst, werden aber nach meinem Dafürhalten zu wenig eingebunden.
Woran machen Sie das fest?
Zum Beispiel an Gesprächen mit Politiker*innen. Auf die Frage, wie sich das Engagement junger Menschen stärken lässt, erhalte ich oft Antworten, die wenig konstruktiv sind. „Wir können vermitteln, wie großartig es ist, in eine Partei einzutreten“, heißt es. Oder: „Ich finde es schön, wenn sich junge Leute in Vereinen engagieren. Aber richtige Verantwortung übernimmt man nur, wenn man auch ein Mandat übernimmt.“
Teile des politischen Apparats stecken in einem Zerrbild fest, dass es so nie gegeben hat.
Jan Eichhorn
Was folgt aus solchen Äußerungen?
Solche Äußerungen sind katastrophal! Zum einen, weil es ganz vielen Menschen die Ernsthaftigkeit ihres Engagements abspricht. Und zum anderen, weil Demokratie in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik noch nie so funktioniert hat. Es gab schon immer unzählige Organisationsformen außerhalb der Parlamente, die für die Meinungsbildung von enormer Bedeutung waren. Etwa die außerparlamentarische Opposition, Interessenverbände und Gewerkschaften.
Teile des politischen Apparats stecken in einem Zerrbild fest, dass es so nie gegeben hat. Das Engagement junger Menschen wird abgetan, bloß weil es vermeintlich nicht Bestandteil des etablierten Apparats ist.
Was die politische Kommunikation betrifft, waren Soziale Medien lange nicht das Mittel der Wahl. Mit der Folge, dass die Politik junges Engagement zu wenig wahrgenommen hat. Welche Lektionen müssen Parteien noch lernen?
Gerade ältere Generationen denken, dass in den Sozialen Medien alles verblödet werden muss und es an Ernsthaftigkeit fehlt. Klar, man braucht eine Hook, einen originellen Einstieg, um die Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber dann ist anspruchsvoller Content gefragt. Inzwischen spielen Politiker*innen authentische Videos aus, die mehrere Minuten dauern, in die Tiefe gehen – und das äußerst erfolgreich. Damit erreichen sie direkt mehr Menschen, als es mit einer klassischen Pressemitteilung möglich wäre.
Ein weiterer Punkt: Soziale Medien sind dialogisch zu verstehen. Es ist nicht damit getan, dass man etwas ausspielt und es dann auf sich beruhen lässt. Nein, man muss mit seiner Community interagieren. In diesem Punkt unterscheiden sich die sozialen von den klassischen Medien. Was das betrifft, sehe ich noch viel Luft nach oben.
Wie nutzt die Jugend Soziale Medien selbst für politisches Engagement?
Dazu haben wir eine Studie zusammen mit der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung durchgeführt. Bemerkenswert ist, dass wirklich alle jungen Menschen, die sich politisch engagieren, soziale Medien nutzen! Sie treffen dabei ganz bewusste Entscheidungen: Das Online-Engagement dient der Mobilisierung, über die Sozialen Medien lassen sich innerhalb von kürzester Zeit viele Gleichgesinnte erreichen. Das Offline-Engagement hingegen umfasst etwa Demonstrationen vor Ort.
Lange galt die AfD unter den Parteien als Vorreiterin, was die Nutzung der Sozialen Medien betrifft. Hat sich das Bild inzwischen gewandelt?
Die AfD hat die Möglichkeiten sehr früh erkannt und die Algorithmen von Instagram und TikTok für ihre Zwecke genutzt. Aber man darf nicht vergessen, dass es auch bei den demokratischen Parteien schon früh Einzelpersonen gegeben hat, auf die das ebenfalls zutrifft.
Insgesamt befinden sich die Parteien noch in einem Aufholprozess. Der vergangene Bundestagswahlkampf hat jedoch gezeigt: Die am häufigsten genutzten TikTok-Accounts gehörten auch Politiker*innen, die keine AfD-Mitglieder sind. Unter den Top 10 waren zum Beispiel Heidi Reichinnek von den Linken und Ex-Finanzminister Christian Lindner.
Die größte Gefahr ist, dass sich ein wachsender Anteil der jüngeren Generation nicht mehr wahrgenommen fühlt.
Jan Eichhorn
Trotz verbesserter Sozial-Media-Präsenz entstand im Bundestagswahlkampf mitunter der Eindruck, dass die politischen Angebote vor allem der älteren Generation galten, die unter den Wahlberechtigten zahlenmäßig stärker vertreten sind. Was hat das für Konsequenzen?
Die größte Gefahr ist, dass sich ein wachsender Anteil der jüngeren Generation nicht mehr wahrgenommen fühlt und von den bestehenden Institutionen abwendet. Deshalb ist es so wichtig, dass die Parteien auch die Jugend ansprechen und glaubhafte Angebote machen.
Und wenn sie das nicht tun, dann profitieren die Extreme? Die meisten 18- bis 24-Jährigen haben bei der vergangenen Bundestagswahl die Linkspartei oder die AfD gewählt …
Das ist im konkreten Fall richtig, lässt sich aber nicht pauschalisieren. 2017 haben die meisten Erstwählenden die CDU von Angela Merkel gewählt. 2021 standen Grüne und FDP an der Spitze. Das zeigt zum einen: Junge Menschen ticken heterogen. Und zum anderen sind sie gewillt, sich auf neue Argumente und Sichtweisen einzulassen. Aber Teil der Wahrheit ist auch, dass sie – von Nuancen abgesehen – dieselben Themen wichtig finden wie Erwachsene. Wer am Anfang des Berufslebens steht, macht sich ebenfalls Gedanken über seine Rente. Nur eben aus der eigenen Lebensrealität heraus.
Unterm Strich profitieren Parteien von jungen Stimmen, die es schaffen, in der Ansprache den richtigen Ton zu treffen und glaubhaft Zukunftsorientierung zu bieten. Wenn das nicht passiert, geht enormes Potenzial verloren. Wir wissen aus Studien, dass junge Menschen, die sich als politisch selbstwirksam wahrnehmen, massiv Einfluss auf Eltern, Verwandte und Freund*innen ausüben. Dieses Phänomen unterschätzen Parteien massiv.
Wer Wahlkampf für die Jugend macht, macht also gleichzeitig Wahlkampf für die ältere Generation?
So kann man das sagen – die verbreitete Denkweise, dass es hauptsächlich Eltern sind, die ihre Kinder einseitig politisch beeinflussen, deckt sich in vielen Fällen nicht mit der Realität.
Wie lässt sich das Vertrauen in demokratische Prozesse ausbauen und stärken?
Grundsätzlich gilt: Je früher ich positive Erfahrungen mit der Demokratie sammle, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich auch später demokratisch beteilige. Dafür müssen wir die entsprechenden Strukturen schaffen. Das betrifft sehr viele Ebenen.
Beispielsweise ist es so, dass sich Menschen mit höherem Bildungsstand und höherem Einkommen mehr beteiligen als Menschen mit einem vergleichsweise niedrigerem sozio-ökonomischen Status. Die Sprache ist eine strukturelle Barriere. Wer etwa mit wissenschaftlichen oder juristischen Inhalten nicht zurechtkommt, hat einen Nachteil.
Wenn ich sehe, dass meine Beteiligung einen Unterschied macht, entwickle ich Vertrauen in demokratische Prozesse.
Jan Eichhorn
Wo müssen wir ansetzen, um das zu ändern?
Zunächst sollten wir uns nicht darauf beschränken, einzufordern, dass sich die Betroffenen das Wissen selbst aneignen sollen. Diese Erwartungshaltung ist leider sehr verbreitet. Es muss vielmehr darum gehen, offene Prozesse zu etablieren, die alle mitnehmen.
Es gibt bereits viele Beispiele, wo Schulen und Jugendorganisationen großartige Arbeit leisten – doch strukturell scheitert einiges an finanziellen Ressourcen. Die Bundesländer setzen in der Bildungspolitik unterschiedliche Prioritäten. Dabei sollte politische Bildung genauso wichtig sein wie Lesen, Schreiben und Rechnen.
Ganz wichtig ist es, dass alle Beteiligungsformen mit Selbstwirksamkeit einhergehen. Heißt: Schüler*innenvertretungen sollten über Fragen entscheiden, die wirklich wichtig sind und nicht bloß über das Sommerfest. Wenn ich sehe, dass meine Beteiligung einen Unterschied macht, entwickle ich Vertrauen in demokratische Prozesse.
Auf Ihrer Website nennen Sie weitere Instrumente, mit denen sich nicht nur junge Menschen stärker einbeziehen lassen. Eines davon ist das Petitionswesen. Wie sollte eine Petition bestenfalls aussehen?
Oft ist es so, dass man eine Petition unterschreibt, die Unterschriften bei Entscheidungsträgern abgegeben werden und den Initiatoren als Grundlage dienen, um bereits bestehende Positionen zu untermauern. Dabei steckt in einer Petition viel mehr Potenzial!
Das beginnt schon mit dem Petitionstext. Warum nicht den ersten Entwurf online stellen und kommentieren lassen? Die Technik macht es möglich, das Design offen zu gestalten. Man kann sich Feedback einholen und in den Dialog treten. Gerade die junge Generation weiß das zu schätzen. Nicht für junge Leute, sondern mit jungen Leuten sprechen, das sollte das Ziel sein. So lässt sich die Selbstwirksamkeit stärken – übrigens nicht bloß mit Blick auf das Petitionswesen.
d|part zählt auch Bürgerräte zu den Instrumenten, die Demokratie fördern. Handelt es sich dabei nicht um eine Parallelstruktur? Abgesehen davon haben die Mitglieder kein Mandat, um demokratisch legitimierte Entscheidungen zu treffen.
Nein, von einer Parallelstruktur würde ich nicht sprechen. Bürgerräte sollen die repräsentative Demokratie nicht ersetzen, sondern ergänzen. Das ist vor allem dort sinnvoll, wo auf lokaler Ebene Entscheidungen bevorstehen.
Es geht darum, in den Austausch zu gehen, einen Prozess mit Informationen zu unterfüttern und transparent zu gestalten. Kurzum: Die Leute sollen verstehen, warum etwas passiert. Das fördert im Idealfall die Konsensfindung. Am größten ist der Effekt, wenn am Ende ein konkretes Ergebnis sichtbar ist.
Und wenn das Ergebnis nicht den eigenen Vorstellungen entspricht?
Dann führt das Konzept des Bürgerrats in der Regel dazu, dass Betroffene die Gründe, warum ihre Meinung in der Minderheit ist, besser nachvollziehen können. Und im Zweifel wissen sie, welche Partei den Prozess in ihrem Sinne weiterführt.
Bürgerräte, Petitionswesen, Demokratiebildung: Wie kann der öffentliche Dienst dazu beitragen, all das umzusetzen?
Klar ist: Der öffentliche Dienst leistet bereits sehr viel! Angefangen bei den Beschäftigten in der Verwaltung, die oft Brücken zwischen Mandatsträgern und Bevölkerung bauen, über Lehrkräfte, die Demokratie vermitteln, bis hin zu Polizist*innen, die in Schulen gehen und über Kriminalität aufklären. Wichtig ist der Dialog, nach dem Motto: Die Menschen müssen nicht immer zu uns kommen, sondern wir zu den Menschen. Das stärkt die Akzeptanz der staatlichen Institutionen und damit auch der Demokratie.
Text: Christoph Dierking