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Nachhaltigkeit umsetzen? Das „Netzwerk junge Bürgermeister*innen“ setzt auf Ideenaustausch. Foto: Daniele Franchi/Unsplash
Nachhaltigkeit in der KommuneDrei Bürgermeister, drei Konzepte
Blühwiesen, Fernwärmenetze, Holzbau: Drei Gemeinden gehen in Sachen Nachhaltigkeit neue Wege. #staatklar hat sich ihre Ideen genauer erklären lassen.
Was haben Bad Soden-Salmünster (Hessen), Flecken Steyerberg (Niedersachsen) und Hofstetten (Baden-Württemberg) gemeinsam?
Mindestens zwei Dinge: Die Bürgermeister sind im „Netzwerk junge Bürgermeister*innen“ organisiert, eine Organisation, die unter anderem dem Erfahrungsaustausch dient. Und alle Bürgermeister treiben Projekte für mehr Nachhaltigkeit voran. Wie sieht das in der Praxis aus?
Bad Soden-Salmünster: nachhaltige Bepflanzung
Früher haben sich die Leute beschwert, wenn irgendwo nicht gemäht wurde, erzählt Dominik Brasch (parteilos), Bürgermeister von Bad Soden-Salmünster, eine Stadt mit 14.000 Einwohnern im Südosten Hessens. „Inzwischen rufen Leute an und fragen, warum gemäht wurde.“
Wie es zu diesem Sinneswandel gekommen ist? Nun, der Kurort hat diverse Flächen im Stadtgebiet umgestellt, etwa 40 Stück auf einem Gebiet von vier Hektar. Heißt: Wo früher reine Rasenflächen waren, sind jetzt Blühwiesen, die Insekten und Vögeln einen Lebensraum bieten. Im Frühling und Sommer entfalten die Flächen ihre volle Blütenpracht, das weiß die Bevölkerung zu schätzen – deshalb ist der eine oder andere enttäuscht, wenn die Mitarbeitenden des Bauhofs zum Mähen kommen. „Aber das ist wichtig für die Pflege der Flächen“, erklärt Brasch.
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Das Nachhaltigkeitsprojekt wurzelt in der Initiative „Main-Kinzig blüht“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Biodiversität im Landkreis zu fördern. Anlass für die Gründung war die Krefelder Studie, die 2017 für Aufsehen sorgte. Zentrales Ergebnis: Die Fluginsekten-Biomasse in 63 deutschen Schutzgebieten ist zwischen 1989 und 2016 um 76 Prozent zurückgegangen. „Da muss ein Umdenken stattfinden, natürlich muss sich die öffentliche Hand einbringen“, betont Bürgermeister Brasch.
Gesagt, getan. Die Stadt gestaltete zunächst einzelne, aber im Stadtbild sehr präsente Grünflächen um – und das gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern, Jugendlichen und Kindern. Flächen wurden umgegraben, Blumenzwiebeln und Stauden eingepflanzt. „Uns war es wichtig, dass man schnell Ergebnisse sieht“, sagt Brasch. Dies sei entscheidend, um die Bevölkerung mitzunehmen und Akzeptanz zu schaffen. „Es nützt nichts, wenn kein Verständnis vorherrscht. Wir sind aktiv in die Kommunikation gegangen und haben viel erklärt.“
Und das mit Erfolg. Nach den Pilotflächen folgten sukzessive weitere Flächen: Parkanlagen, wo einst der akkurat gemähte englische Rasen dominierte, Flächen auf Verkehrsinseln und Kreiseln sowie in Industriegebieten. „Vor allem die Mitarbeitenden des städtischen Bauhofs haben mit viel Engagement Ideen beigesteuert und das Projekt maßgeblich nach vorne gebracht“, unterstreicht der Bürgermeister. Auch der örtliche Golfplatz beteiligt sich: Auf dem Gelände gibt es nun zahlreiche Blühstreifen, Obstbäume und Nistkästen – auch ein Bienenvolk wurde angesiedelt.
Heute profitiert die Stadt auch wirtschaftlich von der Umstellung: „Am Anfang haben wir viel investiert, den Gerätepark des Bauhofs mussten wir etwas aufstocken“, berichtet der Bürgermeister. Dies habe etwa 20.000 Euro gekostet, was sich jedoch rentiert: Jährlich entfallen mehrere tausend Euro für die Entsorgung von Schnittgut, außerdem muss die Stadt weniger Geld ausgeben, um die Tiere im städtischen Wildpark zu füttern – das Futter wird nun direkt auf den städtischen Flächen geerntet.
Darüber hinaus ist der Pflegeaufwand deutlich geringer als vor der Umstellung. „Früher hat der Bauhof im Sommer fast ausschließlich gemäht“, resümiert Brasch. Das ist nicht mehr erforderlich, die personellen Ressourcen lassen sich entsprechend flexibler und effizienter einsetzen.
Flecken Steyerberg: nachhaltige Abwärmenetze
Wer Bürgermeister Marcus Meyer (parteilos) fragt, woher in seiner Gemeinde die Begeisterung für Nachhaltigkeit kommt, bekommt eine Gegenfrage: „Wie kann man sich nicht dafür begeistern?“ Sich mit dem Thema zu befassen, das ist aus seiner Sicht alternativlos, wenn die Transformation der Gesellschaft voranschreiten soll: „Es ist ein Gehen mit der Zeit. Wir wollen Vorbild sein und die Richtung mitbestimmen“ – das Schöne sei, dass sich nahezu alle Themen, mit denen sich eine Gemeinde beschäftigen muss, nachhaltig betreiben lassen. „Das macht es spannend und vielfältig.“
Flecken Steyerberg liegt in Niedersachsen, eine Autostunde nordwestlich von Hannover. Etwa 5.300 Menschen leben hier, auf acht Ortsteile verteilt. Für ihr Engagement hat die Kommune viel Aufmerksamkeit bekommen: 2022 war sie Finalist beim Deutschen Nachhaltigkeitspreis, dieses Jahr erhielt sie die Auszeichnung „Nachhaltige Kommune 2023/24“. Ein ehrenamtlich organisiertes Car-Sharing-Netzwerk, an dem mehr als 80 Bürgerinnen und Bürger teilnehmen, Fernwärmenetze, von denen das dritte aktuell im Bau ist, und Windräder, die sich im Gemeindeeigentum befinden – das sind nur einige der umgesetzten Nachhaltigkeitsprojekte, über welche die Verwaltung auf einer eigens angelegten Website informiert.
Wie schafft man das?
In Flecken Steyerberg greifen viele Zahnräder ineinander: Bereits seit den Achtzigern gibt es eine Ökosiedlung, den Lebensgarten Steyerberg, die viel Expertise zu einer ressourcenorientierten, ökologischen Lebensweise beisteuert. Mit einem „Masterplan 100 Prozent Klimaschutz“ hat der Gemeinderat 2016 erforderliche Verwaltungsstrukturen geschaffen, unter anderem wurde eine Stabsstelle für Klimaschutz und Nachhaltigkeit eingerichtet. „Und wir sind eine kleine, gut vernetzte Einheitsgemeinde, entsprechend kurz sind die Entscheidungswege“, sagt Bürgermeister Meyer. Einheitsgemeinde bedeutet, dass die einzelnen Ortschaften keinen eigenen Haushalt verwalten – „das beschleunigt vieles, wir kommen schnell vom Planen ins Machen, das stärkt die Akzeptanz. Die Leute sehen, dass was passiert.“
Die beiden fertigen Fernwärmenetze versorgen 60 beziehungsweise 80 Haushalte – das dritte soll 420 Anschlüsse umfassen. Die Abwärme kommt von einer Chemiefabrik, auch eine Biogasanlage speist ein. Letztere hat zu Unrecht in den vergangenen Jahren einen schlechten Ruf bekommen, meint Meyer: „Klar, der Flächenverbrauch ist groß, um eine Biogasanlage zu füttern. Aber das relativiert sich, wenn man nicht nur das Potenzial für elektrischen Strom, sondern auch für Wärme mitdenkt.“
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Was der Bürgermeister anderen Gemeinden rät, die nachhaltiger werden möchten?
„Wesentlich ist, die eigenen Stärken und Potenziale zu identifizieren“ – im Fall von Flecken Steyerberg ist das unter anderem die Industrieanlage, die viel Abwärme produziert. „Dann kommt es darauf an, die entscheidenden Akteure einzubinden. In unserem Fall hat sich schnell die Erkenntnis etabliert, dass man gemeinsam besser vorankommt.“
Hofstetten im Kinzigtal (Schwarzwald): Nachhaltige Holzbauweise
Schwarzwald, nordwestlich von Freiburg, hier fließt die Kinzig – und im Kinzigtal liegt Hofstetten, etwa 1.800 Menschen leben in der Gemeinde. Anfang September haben die jüngsten Gemeindemitglieder die neuen Räumlichkeiten der Kita „Sterntaler“ bezogen. Das Besondere an dem Gebäude: Wände, Decken und Dachstuhl bestehen aus Holz, ebenso die Verkleidungen der Außenfassade, Dämmungen und Fensterrahmen. Kurzum: nahezu alle oberirdischen Bauteile.
„Die Offenheit für Holz als Baustoff war von Beginn an da“, sagt Bürgermeister Martin Aßmuth. Dies hänge mit der ländlich geprägten Gemeindestruktur zusammen, außerdem sitzen zahlreiche Waldbesitzer im Gemeinderat – insofern sei eine Affinität für den Rohstoff Holz gegeben. „Wir wollten eine Kita, die in ein Schwarzwalddorf passt, also keinen futuristischen Schnickschnack. Denn bei uns hat der Holzbau eine lange Tradition.“
Entscheidend war auch, dass Holz in Sachen Nachhaltigkeit viele Vorteile bietet, erläutert der Bürgermeister:
- Holz ist ein nachwachsender Rohstoff und schont damit Ressourcen.
- Holz speichert Kohlenstoff und trägt somit zur Dekarbonisierung des Bausektors bei.
- Holz schafft ein angenehmes Raumklima.
„Durch den Einsatz von Holz konnten wir die Verwendung anderer, ökologisch weniger vorteilhafter Baustoffe reduzieren“, sagt Aßmuth. Damit entfielen problematische Bauabfälle.
EH40 – die Abkürzung steht für „Effizienzhaus 40“. Ein solches verbraucht höchstens 40 Prozent des laut Gebäudeenergiegesetz (GEG) zulässigen Energiewerts pro Jahr. Der nachhaltige Holzbau schneide 44 Prozent besser ab als die EH40-Norm, berichtet der Bürgermeister. Im Jahr spare das Gebäude jährlich 30 Tonnen Kohlenstoffdioxid ein im Vergleich zum Neubaustandard. Und beim Primärenergiebedarf seien es 70 Prozent. „Dieses Ergebnis erreichen wir durch die sehr gut gedämmte Gebäudehülle und die Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach.“ Darüber hinaus seien die Wärmebrücken im Gebäude reduziert, sodass weniger Wärme verloren geht.
Wie es mit der Langlebigkeit des Gebäudes aussieht? Aßmuth: „Großzügige Dachüberstände gewährleisten eine maximale Lebensdauer der Holzteile.“ Und wenn später doch einmal Bauteile ausgetauscht werden müssen, besteht in vielen Fällen die Option, diese einzeln zu demontieren. Denn viele Bauteile sind verschraubt. So ist gewährleistet, dass die Kinder in Hofstetten noch lange etwas von ihrer neuen Kita haben.
Text: Christoph Dierking