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    Die Fachstelle für Prävention von sexualisierter Gewalt des Bundesjugendrings gibt es seit März 2023. Foto: Colourbox / Tinnakorn Jorruang

Prävention von sexualisierter GewaltDeutscher Bundesjugendring: „Macht Euch auf den Weg!“

Sie kann überall vorkommen: sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Eine Expertin erklärt, wie Verbände, Vereine und Ehrenamtliche am besten mit dem Thema umgehen.

Isabella Maier nutzt für ihre Arbeit den Begriff „sexualisierte Gewalt“ – oft ist in der öffentlichen Debatte lediglich von „sexueller Gewalt“ die Rede. „Das ist problematisch, denn Übergriffe passieren nicht einfach so, sondern bahnen sich an“, erklärt sie. „Deshalb ist es in der Prävention wichtig, auch Grenzverletzungen einzubeziehen, die laut Strafgesetzbuch nicht strafbar sind. Wir müssen die Vorstufen im Blick haben.“

Maier ist Referentin bei der Fachstelle für Prävention von sexualisierter Gewalt, die der Deutsche Bundesjugendring (DBJR) im März 2023 eingerichtet hat. Ihre Aufgabe: Wissen für die praktische Verbandsarbeit bündeln und für die Praxis zur Verfügung stellen. Im Gespräch mit #staatklar erklärt sie, was gute Prävention auszeichnet.

#staatklar: Frau Maier, wird aus Ihrer Sicht ausreichend für die Prävention von sexualisierter Gewalt getan? Wie ist der Status quo?

Isabella Maier: Das kommt darauf an, aus welcher Perspektive man spricht. Ich sage es mal so: In den vergangenen 20 Jahren ist sehr viel passiert. Aber nach wie vor gibt es noch wahnsinnig viel zu tun. Vor allem, was Strukturen betrifft, die gute Präventionsarbeit ermöglichen, haben wir Luft nach oben. Wir brauchen Strukturen, die Ehrenamtliche unterstützen. Und vor allem brauchen wir mehr Beratungsstellen für Betroffene. Da muss die Politik mehr Geld in die Hand nehmen und den Aufbau systematisch vorantreiben.

Für das Jahr 2021 verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik 15.500 Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs. Das sind die bekannten Fälle. Die Behörden gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.

Das ist korrekt – und ein großes Problem. Viel zu oft kommt es gar nicht erst zur Anzeige. Teils spielt Scham eine Rolle, außerdem handelt es sich immer noch um ein Tabuthema. Wir müssen davon ausgehen, dass wir nur ein Bruchteil der Fälle kennen, die sich tatsächlich zutragen. Aus Hochrechnungen geht hervor, dass statistisch pro Schulklasse circa ein bis zwei Kinder betroffen sein könnten.

Wo findet sexualisierte Gewalt statt?

Grundsätzlich ist sie immer dort möglich, wo es Kinder und Jugendliche gibt. Früher ging man hauptsächlich von Fremdtäter*innen aus. Heute wissen wir, dass die Täter*innen häufig aus dem Nahfeld kommen. Aus der Familie, dem schulischen Umfeld, aus Heimen, Vereinen und Verbänden. Was viel zu wenig bedacht wird: Auch unter Jugendlichen findet sexualisierte Gewalt statt.

Blicken wir auf die Täter*innen: Wie gehen sie vor?

Wichtig ist zu wissen, dass ihre Motivation nicht immer auf einem sexuellen Kick gründet. Es geht hauptsächlich und fast immer um die Ausübung von Macht. Am Anfang steht die Kontaktaufnahme. Im digitalen Kontext hat sich hierfür der Begriff „Grooming“ etabliert, der inzwischen auch in der analogen Welt Anwendung findet. Die Täter*innen tasten sich ran, machen den späteren Betroffenen Geschenke oder fahren sie nach Hause. Sie bauen ein Vertrauensverhältnis auf, möglicherweise schaffen sie Abhängigkeiten, die sich ausnutzen lassen.

Und sie unternehmen sehr viel, um nicht aufzufallen. Der komische Mann, der am Spielplatz steht und ganz offensichtlich etwas im Schilde führt, ist ein Klischee, das in der Realität eher nicht vorkommt. Viele erschreckende Fälle haben gezeigt: Täter*innen pflegen ein glaubwürdiges Image – so glaubwürdig, dass den Betroffenen schlimmstenfalls nicht geglaubt wird. Sie machen sich beliebt und wenn die Wahrheit ans Licht kommt, sind alle vollkommen überrascht und schockiert. Das ist extrem tragisch.

Was folgt daraus für die Verbandsarbeit?

Zunächst ist mir wichtig: Das schlimmste Szenario ist, wenn Betroffenen nicht geglaubt wird und sie keine Unterstützung erhalten. Niemand muss alle Strategien im Umgang mit sexualisierter Gewalt kennen. Aber alle müssen wissen, dass sie vorkommt, und entsprechende Hinweise ernst nehmen. Bei Unsicherheit gilt es, Rücksprache zu halten – mit Präventionsbeauftragten oder Mitarbeitenden eines Hilfetelefons.

Viele machen nichts, teils aus Angst und Unsicherheit, jemanden unter Generalverdacht zu stellen. Das passiert insbesondere in Strukturen, wo alle einander kennen und schätzen. Trotz allem sollte immer gelten: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig reagieren! Auch wenn Kinder von anderen Kindern berichten und man nur indirekt etwas mitbekommt. Gleichaltrige vertrauen sich auch untereinander Übergriffe an.

Dreh- und Angelpunkt ist ein Schutzkonzept. Wie kann ein solches aussehen?

Das lässt sich schwierig pauschalisieren, weil jeder Verband anders ist. Daraus ergeben sich verschiedene Anforderungen. Aber eine Sache ist für alle von großer Bedeutung: Ich persönlich finde den Begriff „Schutzkonzept“ unglücklich. Er suggeriert ein starres Konzept, das man einmal schreibt und ins Regal stellt. Meiner Meinung trifft es „Schutzprozess“ besser. Die Welt verändert sich ständig, deshalb muss sich der Schutz kontinuierlich anpassen. Wir müssen stets über neue Fälle reflektieren und beantworten, wie sie hätten verhindert werden können.

Um es konkret zu machen: Ein Schutzprozess beginnt schon in dem Moment, wenn Betreuer*innen vor einer Jugendfreizeit Einrichtungen recherchieren, an die sie sich wenden können, sollten auf der Freizeit Fälle von sexualisierter Gewalt bekannt werden.

Doch der Prozess darf hier nicht aufhören. Er sollte zudem Fortbildungen beinhalten: Woran erkenne ich, dass Kinder und Jugendliche von sexualisierter Gewalt betroffen sind? Wie schaffe ich es, ein sicheres Umfeld zu schaffen, in dem sich Betroffene öffnen können und sich jemanden anvertrauen, der sie unterstützt? Ab wann muss ich das Jugendamt einschalten? Was sind konkrete Risikofaktoren? Dies sind Beispiele für Fragen, mit denen sich alle Beteiligten beschäftigen sollten.

Welche Unterstützung bietet die Fachstelle für Prävention von sexualisierter Gewalt des Bundesjugendrings?

Als die Fachstelle 2023 endlich nach einem längeren Prozess eingerichtet werden konnte, war das Anliegen vor allem, dem Thema eine Plattform zu bieten. Menschen, die bereits Präventionsarbeit in Verbandsstrukturen leisten, untereinander zu vernetzen. Denn Austausch ist das A und O, um sich weiterzuentwickeln. Wir müssen nicht ständig das Rad neu erfinden.

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Ich bin immer wieder positiv überrascht, wie umfassend und durchdacht sich manche Verbände mit dem Thema befassen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, das Know-how zu bündeln, weiterzuentwickeln, aktuell zu halten und allen zur Verfügung zu stellen. Aktuell bauen wir eine Datenbank mit Infomaterial auf. Kurzum: Vernetzung, Aufklärung, Lobbyarbeit, aber auch die Vermittlung von Fachreferent*innen zum Thema, all das gehört zu meinen Aufgaben. Wer Informationen benötigt, kann sich sehr gerne an die Fachstelle wenden.

Abschließend: Was würden Sie Vereinen und Verbänden mit auf den Weg geben, die noch keinen Schutzprozess in die Wege geleitet haben?

Kurz und knapp: Macht Euch auf den Weg! Das ist der erste Schritt. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf den bestmöglichen Schutz. Das ist ein Menschenrecht!

Über den Deutschen Bundesjugendring (DBJR)

Der DBJR ist die Dachorganisation der deutschen Jugendverbände, bei der auch die dbb jugend Mitglied ist. Er versteht sich als Arbeitsgemeinschaft und Schnittstelle zwischen Jugendverbandsarbeit, Ministerien und Wissenschaft. In dieser Funktion vertritt er die Interessen der Jugend und politische Forderungen. Und nicht zuletzt treibt er die Vernetzung der Jugendverbände voran, unter anderem über das Arbeitsformat der „Werkstätten“ zu verschiedenen Bereichen, wie Prävention, Jugendreisen oder Nachhaltigkeit. Im Rahmen des Formats war die Prävention von sexualisierter Gewalt bereits Thema.

Noch Fragen? Weitere Informationen gibt es beim Bundesjugendring bei der Fachstelle für Prävention von sexualisierter Gewalt.

Interview: Christoph Dierking